Frankie Machine - Winslow, D: Frankie Machine
schwangere Frau, denkt Frank – angeschwollen, launisch, leicht erregbar. Die Wellen klatschen gegen die Betonpfeiler und explodieren zu weißem Schaum, der unter dem Pier verzischt.
Frank denkt öfter an die lange Reise, die die Wellen hinter sich haben, wenn sie irgendwo bei Japan entstehen und dann Tausende von Meilen über den Nordpazifik ziehen, nur um sich hier am Pier zu brechen.
Die Surfer werden in Scharen draußen sein. Nicht die Gaffer, die Möchtegern-Helden oder die Spinner. Die stehen am Strand, wo sie hingehören, und gucken. Aber die richtigen Kerle, die Gunners, die sind draußen, genau wegen dieser Dünung. Große Wellen, die an den bekannten Stellen losbrechen wie Donnerschläge, an den Breaks, deren Namen sich lesen wie eine Litanei des Surferkatechismus: Boil, Rockslide, Lescums, Out Ta Sites, Bird Shit, Osprey, Pesky’s. Dann die Breaks zu beiden Seiten des OB Pier, Nordseite und Südseite, und weiter nach Norden – Gage, Avalanche und Stubs.
Frank wird schon kribblig, wenn er an die Namen auch nur denkt.
Er kennt die Breaks alle – das sind geheiligte Orte für ihn. Und das sind nur die in der Gegend von Ocean Beach – weiter oben an der Küste setzt sich die Litanei fort. Von Norden nach Süden: Big Rock, Windansea, Rockpile, Hospital Point, Boomer Beach, Black’s Beach, Seaside Reef, Suckouts, Swami’s, D Street, Tamarack und Carlsbad.
Für die einheimischen Surfer sind das magische Namen. Und nicht nur Namen: Jede Stelle bringt Erinnerungen. Frank ist an diesen Breaks groß geworden, in den goldenen Sixties, als die Küste von San Diego noch ein Paradies war, unbevölkert, unverbaut, als es noch nicht so viele Surfer gab und man praktisch jeden kannte, der da rausging.
Das waren die endlosen Sommer von damals.
Jeder Tag eine Ewigkeit, denkt Frank, als er eine Welle anrollen und am Pier zerkrachen sieht. Du bist vor Morgengrauen aufgestanden, so wie jetzt auch, hast tagsüber auf dem Thunfischboot vom Alten geschuftet. Aber am frühen Nachmittag warst du wieder an Land, dann ging’s raus zu den Buddys am Strand. Bis zum Dunkelwerden wurde gesurft, gelacht und gequatscht, in der Warteschlange rumgealbert, angegeben vor den Bunnys, die dir vom Strand aus zusahen. Das war die Ära der Longboards, man hatte jede Menge Zeit, jede Menge Platz. Tage, angefüllt mit gewagten Stunts und coolen Sprüchen, mit den fetten Gitarrenriffs von Dick Dale und den Songs der Beach Boys – und sie sangen von dir , sie sangen von deinem Leben , von deinen Sommertagen am Strand.
Bei Sonnenuntergang haben wir immer Schluss gemacht, um ihn gemeinsam zu erleben. Für dich und die Buddys und die Girls war das ein Ritual, ein gemeinsames Erleben von … wovon eigentlich? War es ein Staunen ? Ein paar stille, andächtige Minuten zuschauen, wie die Sonne im Ozean versinkt, wie das Wasser glüht, orange, rosig, dann rot, und du denkst still bei dir, was für ein Glück du hast. Schon damals wusstest du, dass du verdammtes Glück hattest, weil du zur richtigen Zeit am richtigen Ort warst, und du warst gerade mal schlau genug, um zu kapieren, dass du’s dann gefälligst auch genießen solltest.
Wenn dann der letzte rote Sonnenzipfel verschwunden war, wurde Holz gesammelt, Feuer gemacht, es wurden Fische gegrillt oder Hotdogs oder Hamburger oder was immer sich auftreiben ließ, du hast am Feuer gesessen, einer holte die Gitarre raus und sang »Sloop John B.« oder »Barbara Ann« oder einen alten Folksong, und später hast du dich mit einer Decke und, wenn du Glück hattest, mit einem Mädchen in die Büsche geschlagen, und sie roch nach Salzwasser und Sonnenöl, vielleicht durfte sich deine Hand unter ihrOberteil verirren, und es ging nichts über dieses Gefühl. Vielleicht hast du auch die ganze Nacht mit ihr auf dieser Decke gelegen, bist aufgewacht, zum Hafen gerannt, hast gerade noch rechtzeitig das Boot erwischt, dich an die Arbeit gemacht, und genauso lief dann der nächste Tag.
Aber so was ging nur damals – paar Stunden Schlaf, tagsüber arbeiten, bis zum Dunkelwerden surfen, die ganze Nacht rumhängen und flirten. Jetzt läuft so was nicht mehr. Wenn du jetzt über die Stränge schlägst, hast du am nächsten Morgen ein Problem.
Das waren die goldenen Zeiten, denkt Frank, und plötzlich packt ihn die Trauer. Nostalgie, so nennt man das wohl. Er reißt sich aus seinen Träumen und nimmt Kurs auf den Angelladen. Das hat man davon, wenn man an einem nassen, kalten Wintertag an den Sommer
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