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Und dann kam Ute (German Edition)

Und dann kam Ute (German Edition)

Titel: Und dann kam Ute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atze Schröder
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    1.
    Kurt-Schumacher-Straße 10
    I ch wohne schon seit zehn Jahren in einem Mietshaus in der Kurt-Schumacher-Str. 10. Dieses Prachtdomizil stammt aus der Gründerzeit und hat vier verschwenderisch großzügig geschnittene Wohnungen, absurd hohe Decken, handgestanztes Eichenstabparkett und knarzende Ochsenbluttreppen in einem größenwahnsinnigen Treppenhaus. Es soll den legendären Fürst Pückler so beeindruckt haben, dass er nach dem ersten Besuch hier seine berühmte Eisbombe nur noch in der Remise im Hinterhof zu sich nehmen wollte. Stehend.
    Ja, dieses Haus atmet Geschichte. Angeblich baute der alte Stahlbaron Krupp das Haus für seine heimliche Geliebte Elvira von Stetten. Diese wiederum starb später skandalumwittert und vereinsamt auf der Blumeninsel Mainau im schönen Bodensee an ihrer bedauerlicherweise zu spät diagnostizierten Pflanzenallergie. Ihr Nachlass, zu dem auch unsere Villa gehörte, floss in den nicht nur bei Hobbyköchen sehr beliebten Lacroix-Fonds. Dessen Hauptanteilseigner ließen das Haus dann vor zwanzig Jahren in vier Wohnungen aufteilen.
    Der alte Krupp hatte also neben seinem berühmten Husten auch ein offenes Portemonnaie für seine jeweiligen Geliebten. Ich bin der Letzte, der ihm dafür Vorwürfe macht, denn ohne sein außereheliches Rappelfieber mit anschließender Betongoldspende könnte ich ja nicht in meiner Wohnung residieren.
    Mein direkter Nachbar hier im ersten Stock ist Gerhard Storkenbeck. Gerd ist 55 Jahre alt, arbeitet bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost und ist die wahrscheinlich faulste Sau des Planeten. Seit dreißig Jahren geht er in seiner Dienststelle keiner erkennbaren Tätigkeit nach – außer Verdauen. Damit hat er die höchste Form des menschlichen Daseins erreicht: die Unkündbarkeit bei vollem Lohnausgleich. Einmal im Jahr fährt Gerd nach Gomera und kauft sich neue Batik-Klamotten, um seinem Ruf als Stilikone gerecht zu werden. Daher kennen ihn alle nur unter dem Namen «Gomera-Gerd».
    Mit sozialen Kontakten hat er es nicht so, er spricht lieber mit seinen Pflanzen. Er hegt sie, er pflegt sie – er raucht sie. Und weil er permanent dauerstoned in seinem Hanfdschungel dahindämmert, ist ihm alles, also wirklich alles, komplett scheißegal. Aber wenn es drauf ankommt, dann ist er ein guter Kumpel und immer hilfsbereit. Gerd bereichert jedes Gespräch mit einem müden Kopfnicken und einem vernuschelten «Heftig, Alter!».
    Unter Gerd wohnen Hajo und Kati Deutschmann, beide Anfang dreißig oder vielleicht Mitte vierzig, das ist schwer zu schätzen, mit Flöcki. Flöcki ist ein mieser Jack-Russell-Terrier und hauptberuflich Hooligan. Macht alles kaputt, beißt alles, was sich bewegt, und pinkelt überallhin. Auf den ersten Blick ein Hund, für Hajo und Kati ein Kind im Fellanzug, für mich einfach nur ein Riesenarschloch. Das Ehepaar Deutschmann lässt sich nur ungern hinter die Fassade gucken, aber daran haben die Leute in unserem Haus sowieso kein Interesse. Hajo ist allerdings der Gastgeber unserer legendären Männerrunde.
    Diese Runde trifft sich traditionell auf seiner Terrasse, und zwar sooft es geht. Ich würde sagen, dass Männerrundengastgeber Hajos wahre Kernkompetenz ist. Kati ist ein heißer Feger, aber komplett psycho und unberechenbar. Deswegen lasse ich auch schön die Finger von ihr. Über Hajo und Kati lässt sich sonst nicht viel Gutes sagen, außer dass sie bei der Volksbank arbeiten und sich auch so benehmen.
    In der Wohnung unter mir wohnte bis vor einem halben Jahr Essens Friseurlegende Helga Wachowiak, von allen ehrfürchtig nur «die Rundbürste» genannt. Keiner konnte «syltblond» gefärbte Strähnchen so akkurat über die Rundbürste ziehen wie Helga. Sie hatte als junger Feger mal eine heiße Affäre mit meinem Vater, bevor dieser meine Mutter heiratete. Vielleicht mag sie mich deshalb so gerne.
    In ihrem vor einundvierzig Jahren eröffneten Salon «Vier Haareszeiten» gab sich die Essener Schickeria die Klinke in die Hand. Helgas Ruhm basierte im Wesentlichen auf einem Prominentenbesuch, und das kam so: Im schicksalhaften Spätherbst 1976 fand gegen den Riesenprotest des Bischofs von Essen die Premiere des Boulevardstücks «Die schwarzen Zofen des Rasputin» statt. Bei der restlichen Bevölkerung des Ruhrgebiets erfreute sich das Skandalstück großer Beliebtheit und war über Wochen komplett ausverkauft. Kein Wunder: Auf der Bühne stand alles, was damals Rang und Namen

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