Franz Sternbalds Wanderungen
fliege; er hatte seinen Mut wieder, er fühlte sich nicht mehr so verlassen, er erbrach das Siegel.
Wie erstaunte und freute er sich zu gleicher Zeit, als er drinnen noch ein anderes Schreiben von seinem Albrecht Dürer fand, welches er nie erwartet hatte. Er war ungewiß, welchen Brief er zuerst lesen sollte; doch schlug er Sebastians Brief auseinander, welcher folgendermaßen lautete:
Liebster Franz.
Wir gedenken Deiner in allen unsern Gesprächen, und so kurze Zeit Du auch entfernt bist, so dünkt es mich doch schon recht lange. Ich kann mich immer noch nicht in dem Hause ohne Dich schicken und fügen, alles ist mir zu leer und doch zu enge, ich kann nicht sagen, ob sich das wieder ändern wird. Als ich von Dir an jenem schönen und traurigen Morgen durch die Kornfelder zurückging, als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war, und der Stadt mich nun immer mehr näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht sagen, was da mein Herz empfand. Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz, und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß ich Dich so liebhaben könnte. Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen, die ich sonst unbesehn und ungenossen verschwendete, wenn ich nur mit Dir wieder sein könnte! Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich, und meine Palette, meine Pinsel, alles macht mich wehmütig. Als ich wieder in die Stadt hineinkam, als ich die gewohnten Treppen unsers Hauses hinaufstieg, und da wieder alles liegen und stehn sah, wie ich es am frühen Morgen verlassen hatte, konnt ich mich der Tränen nicht enthalten, ob ich gleich sonst nie so weich gewesen bin. Halte mich nicht für härter oder vernünftiger, lieber Franz, wie Du es nennen magst, denn ich bin es nicht, wenn sich auch bei mir mein Gefühl anders äußert als bei Dir. Ich war den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit jedermann; was ich tat war mir nicht recht, ich wünschte Staffelei, und das Porträt, das ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn mir gelang kein Zug, und ich spürte auch nicht die mindeste Lust zum Malen. Meister Dürer war selbst an diesem Tage ernster als gewöhnlich, alles war im Hause still, und wir fühlten es, daß mit Deiner Abreise eine andre Epoche unsers Lebens anfing.
Dein Schmied hat uns besucht; er ist ein lieber Bursche, wir haben viel über ihn gelacht, uns aber auch recht an ihm erfreut. Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugesehn, er wunderte sich darüber, daß das Malen so langsam von der Stelle gehe. Er setzte sich nachher selber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut gerieten; es gereut ihn jetzt, daß er das Schmiedehandwerk erlernt, und sich nicht lieber so wie wir auf die Malerei gelegt hat. Meister Dürer meint, daß viel aus ihm werden könnte, wenn er noch anfinge; und er selber ist halb und halb dazu entschlossen. Er hat Nürnberg schon wieder verlassen; von Dir hat er viel gesprochen und Dich recht gelobt.
Daß Du Dich von Deinen Empfindungen so regieren und zernichten lässest, tut mir sehr weh, Deine Überspannungen rauben Dir Kräfte und Entschluß, und wenn ich es Dir sagen darf, Du suchst sie gewissermaßen. Doch mußt Du darüber nicht zornig werden, jeder Mensch ist einmal anders eingerichtet als der andere. Aber strebe darnach, etwas härter zu sein, und Du wirst ein viel ruhigeres Leben führen, wenigstens ein Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten kannst, als in dem Strom dieser wechselnden Empfindungen, die Dich notwendig stören und von allem abhalten müssen.
Lebe recht wohl, und schreibe mir ja recht fleißig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es sonst gar zu leicht geschieht. Teile mir alles mit was Du denkst und fühlst, und sei überzeugt, daß in mir beständig ein mitempfindendes Herz schlägt, das jeden Ton des Deinigen beantwortet.
Ach! wie lange wird es währen, bis wir uns wiedersehn! Wie traurig wird mir jedesmal die Stunde vorkommen, in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die schreckliche leere Nichtigkeit der Trennung so recht im Innersten fühle. Es ist um unser menschliches Leben eine dürftige Sache, so wenig Glanz und so viele Schatten, so viele Erdfarben, die durchaus keinen Firnis vertragen wollen. Lebe wohl. Gott sei mit Dir. –
Der Brief des wackern Albert Dürer lautete also:
Mein lieber Schüler und Freund!
Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr nebeneinander leben sollen, ob mich gleich kein Zwischenraum gänzlich von Dir wird trennen
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