Franz Sternbalds Wanderungen
Abendwolken in seinem Gedächtnisse ab. Er hatte sich im Garten in eine Laube zu einem frischen Bauermädchen gesetzt, das schon seit lange viel und lebhaft mit ihm gesprochen hatte. Jetzt lag das Abendrot auf ihren Wangen, er sah sie an, sie ihn, und er hätte sie gern geküßt, so schön kam sie ihm vor. Sie fragte ihn, wann er zu reisen gedächte, und es war das erstemal, daß er ungern von seiner Reise sprach. »Ist Italien weit von hier?« fragte die unwissende Gertrud.
»O ja«, sagte Franz, »manche Stadt, manches Dorf, mancher Berg liegt zwischen uns und Italien. Es wird noch lange währen, bis ich dort bin.«
»Und Ihr müßt dahin?« fragte Gertrud.
»Ich will und muß«, antwortete er; »ich denke dort viel zu lernen für meine Malerkunst. Manches alte Gebäude, manchen vortrefflichen Mann habe ich zu besuchen, manches zu tun und zu erfahren, ehe ich mich für einen Meister halten darf.«
»Aber Ihr kommt doch wieder?«
»Ich denke«, sagte Franz, »aber es kann lange währen, und dann ist hier vielleicht alles anders, dann bin ich hier längst vergessen, meine Freunde und Verwandten sind vielleicht gestorben, die Burschen und Mädchen, die eben so fröhlich singen, sind dann wohl alt und haben Kinder. Daß das Menschenleben so kurz ist, und daß in der Kürze dieses Lebens so viele und betrübte Verwandlungen mit uns vorgehn!«
Gertrud ward von ihren Eltern abgerufen und sie ging nach Hause, Franz blieb allein in der Laube. »Freilich«, sagte er zu sich, »ist es etwas Schönes, ruhig nur sich zu leben, und recht früh das stille Land aufzusuchen, wo wir einheimisch sein wollen. Wem die Ruhe gegönnt ist, der tut wohl daran; mir ist es nicht so. Ich muß erst älter werden, denn jetzt weiß ich selber noch nicht was ich will.«
Siebentes Kapitel
Franz hatte sich gleich bei seiner Ausreise vorgenommen, seinem Geburtsorte ein Gemälde von sich zum Angedenken zu hinterlassen. Der Gedanke der Verkündigung der Geburt Christi lag ihm noch im Sinn, und er bildete ihn weiter aus und malte fleißig. Aber bei der Arbeit fehlte ihm diese Seelenruhe, die er damals in seinem Briefe geschildert hatte, alles hatte ihn betäubt und die bildende Kraft erlag oft den Umständen. Er fühlte es lebhaft wieder, wie es ganz etwas anders sei, in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunstwerk zu entwerfen, und es nachher mit unermüdeter Emsigkeit und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzuführen. Mitten in der Arbeit verzweifelte er oft an ihrer Vollendung, er wollte es schon unbeendigt stehen lassen, als ihm Dürers Brief zur rechten Zeit Kraft und Erquickung schenkte. Jetzt endigte er schneller, als er erwartet hatte.
Wir wollen hier dem Leser dieses Bild kürzlich beschreiben. Ein dunkles Abendrot dämmerte auf den fernen Bergen, denn die Sonne war schon seit lange untergegangen, in dem bleichroten Scheine lagen alte und junge Hirten mit ihren Herden, dazwischen Frauen und Mädchen; die Kinder spielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landschaft. Die Hirten sahen mit stiller Sehnsucht nach ihnen, die Kinder streckten die Hände nach den Engeln aus, das Angesicht des einen Mädchens stand völlig im rosenroten Schimmer, vom fernen Strahl der Himmlischen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte sich umgewendet, und sah mit verschränkten Armen und tiefsinnigem Gesichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmutigen und erquickenden Strahlen verschwunden wären; ein alter Hirt faßte ihn beim Arm, um ihn umzudrehen und ihm die Freudigkeit zu zeigen, die von morgenwärts herschritt. Dadurch hatte Franz der untergegangenen Sonne gegenüber gleichsam eine neuaufgehende darstellen wollen, der alte Hirt sollte den jungen beruhigen und zu ihm sagen: »Selig sind die nunmehr sterben, denn sie werden in dem Herrn sterben!« Einen solchen zarten, trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Beschauer in das Gemälde zu bringen gesucht.
Er hatte es nun vollendet, und stand lange nachdenkend und still vor seinem Werke. Er empfand eine wunderbare Beklemmung, die er an sich nicht gewohnt war, es ängstete ihn, von dem teuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit so vieler Liebe gearbeitet hatte, Abschied zu nehmen. Das glänzende Bild der ersten Begeisterung war während der Arbeit aus seiner Seele gänzlich hinweggelöscht, und er fühlte darüber eine trübe
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