Franz Sternbalds Wanderungen
entfernt.‹ Sie konnte vor Angst noch nicht antworten, sie dankte ihm mit einem scheuen Blicke. Er glaubte sie zu kennen, doch konnte er sich nicht erinnern, sie sonst schon gesehn zu haben. ›Ich bin Euch meinen herzlichsten Dank schuldig‹, sagte sie endlich, ›ich wollte nach einem wundertätigen Bilde der Muttergottes wallfahrten, als jener Räuber mich überfiel.‹
›Ich will Euch begleiten‹, sagte Ferdinand, ›bis Ihr völlig in Sicherheit seid; aber fürchtet nichts, er ist schwer verwundet, vielleicht tot. Doch kehrt zur Straße zurück, denn auf diesem Wege gehn wir nur in der Irre.‹
Indem kam ein Gewitter heraufgezogen, und ein Hagelschauer fiel nieder. Die beiden Wanderer retteten sich vor dem Platzregen in einer kleinen Kapelle, die dicht vor einem Walde stand. Die Pilgerin war ängstlich, indem die Donnerschläge in den Bergen widerhallten, und Ferdinand suchte sie zu beruhigen; die Furcht drückte sie an seine Brust, seine Wange trank ihren Atem. Endlich hörte das Gewitter auf, und ein lieblicher Regenbogen stand am Himmel, der Wald war frisch und grün und alle Blätter funkelten von Tropfen, die Schwüle des Tages war vorüber, die ganze Natur durchwehte ein kühler Lufthauch, alle Bäume, alle Blumen waren fröhlich. Sie standen beide und sahen in die erfrischte Welt hinaus, die Pilgerin lehnte sich an Ferdinands Schulter. Da war es ihm, als wenn sich ihm alle Sinne auftäten, als wenn auch aus seinem Gemüte die drückende Schwüle fortzöge, denn er erkannte nun das liebliche Gesicht, das ihm vertraulich so nahe war; es war das Original jenes Gemäldes, das er mit so heftiger Sehnsucht gesucht hatte. So freut sich der Durstende, wenn er lange schmachtend in der heißen Wüste umherirrte, und nun den Quell in seiner Nähe rieseln hört; so der verirrte Wandersmann, der nun endlich am späten Abend die Glocken der Herden vernimmt, das abendliche Getöse des nahen Dorfes, und dem nun vor allen Menschen ein alter Herzensfreund zuerst entgegentritt.
Ferdinand zog das Gemälde hervor, die Pilgerin erkannte es. Sie erzählte, daß derselbe junge Ritter, von dem Ferdinand sie heute befreite, und der in ihrer Nachbarschaft lebe, sie habe malen lassen; sie sei elternlos und von armen Leuten auferzogen, aber sie habe sich entschließen müssen, von dort der Liebe des Ritters zu entfliehen, weil seine Leidenschaft, sein Lobpreisen ihrer Schönheit nur ihren tiefsten Unwillen erweckte. ›Drum hab ich‹, so beschloß sie, ›nach dem heiligen wundertätigen Marienbilde eine Wallfahrt tun wollen, und bin dabei unter Euren Schutz geraten, den ich Euch nie genug danken kann.‹
Ferdinand konnte erst vor Entzücken nicht sprechen, er traute seiner eigenen Überzeugung nicht, daß er den gesuchten Schatz wirklich erbeutet habe; er erzählte der Fremden, die sich Leonore nannte, wie er das Bildnis gefunden und wie es ihn bewegt habe, wie er endlich den Entschluß gefaßt, sie in weiter Welt aufzusuchen, um zu sterben, oder sein Gemüt zu beruhigen. Sie hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu, und als er geendigt hatte, nahm sie seine Hand und sagte: ›Wahrlich, Ritter, ich bin Euch mein Leben schuldig, und noch gegen niemand habe ich die Freundschaft empfunden, die ich zu Euch trage. Aber kommt, und laßt uns irgendeine Herberge suchen, denn der Abend bricht herein.‹
Die untergehende Sonne färbte die Wolken schon mit Gold und Purpur, der Weg führte sie durch den Wald, in welchem ein kühler Abendwind sich in den nassen Blättern bewegte. Ferdinand führte die Pilgerin und drückte ihre Hand an sein klopfendes Herz; sie war stumm. Die Nacht näherte sich mehr und mehr, und noch trafen sie kein Dorf und keine Hütte; der Jungfrau ward bange, der Wald wurde dichter, und einzelne Sterne traten schon aus dem blauen Himmel hervor. Da hörten sie plötzlich von abseits her ein geistliches Lied ertönen, sie gingen dem Schalle nach, und sahen in einiger Entfernung die Klause eines Einsiedels vor sich, ein kleines Licht brannte in der Zelle, und er kniete vor einem Kreuze, indem er mit lauter Stimme sang. Sie hörten eine Weile dem Liede zu, die Nacht war hereingebrochen, die ganze übrige Welt war still; dann gingen sie Hand in Hand näher. Als sie vor der Zelle standen, fragte Ferdinand das Mädchen leise: ›Liebst du mich?‹ Sie schlug die Augen nieder und drückte ihm die Hand; er wagte es und heftete einen Kuß auf ihren schönen Mund, sie widersetzte sich nicht. Zitternd traten sie zum Eremiten
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