Franz Sternbalds Wanderungen
hinein, und baten um ein Nachtlager als verirrte Wanderer. Der alte Einsiedel hieß sie willkommen und ließ sie niedersitzen; dann trug er ihnen ein kleines Mahl von Milch und Früchten auf, an dem sie sich erquickten. Ferdinand war sich vor Glückseligkeit kaum seiner selbst bewußt, er fühlte sich wie in einer neuen Welt, alles, was vor heute geschehen war, gehörte gleichsam nicht in seinen Lebenslauf; von diesem entzückenden Kusse, der ihm alle Sinnen geraubt hatte, begann ihm ein neues Gestirn, eine neue Sonne emporzuleuchten, alles vorige Licht war nur Dämmerung und Finsternis gewesen. Der Einsiedel wies Leonoren ein Lager an, und Ferdinand mußte sich gegenüber in eine kleine leere Hütte begeben.
Er konnte in der Nacht nicht schlafen, seine glückliche Zukunft trat vor sein Lager und erhielt seine Augen wach, er ward nicht müde hinunterzusehn und in dem glücklichen Reiche seiner Liebe auf und ab zu wandeln. Leonorens Stimme schien ihm beständig widerzutönen, er glaubte sie nahe und streckte die Arme nach ihr aus, er rief sie laut und weinte, indem er sich allein sah. Als der Mondschimmer erblaßte, und die Morgenröte nach und nach am Himmel heraufspielte, da verließ er die Hütte, setzte sich unter einen Baum und träumte von seinem Glücke.
Da sah er plötzlich den Ritter wieder aus dem Dickicht kommen, den er gestern auf dem Felde verwundet hatte; zwei Diener folgten ihm. Eben sollte der Zweikampf von neuem beginnen, als der Eremit aus seiner Klause trat. Dieser hörte den Verwundeten Bertram nennen, und erkundigte sich nach dem Orte seines Aufenthaltes und nach seinen Verwandten. Der Fremde nannte beides und der Einsiedel fiel ihm weinend um den Hals, indem er ihn seinen Sohn nannte. Er war es wirklich; als der Vater sich aus der Welt zurückzog, übergab er diesen Sohn seinem Bruder, der nach einiger Zeit von den Unruhen des Krieges vertrieben seinen Wohnort änderte, und so den Sohn dem Einsiedler näher brachte, als er es ahnden konnte. ›Wenn ich jetzt nur noch Nachrichten von meiner Tochter überkäme‹, rief der Einsiedler aus, ›so wäre ich unaussprechlich glücklich!‹ Leonore trat aus der Tür, weil sie das Geräusch vernommen hatte. Ferdinand ging auf sie zu, und Bertram stürzte sogleich herbei, als er die Pilgerin gewahr ward. Der Einsiedler betrachtete sie aufmerksam; ›woher, schönes Kind‹, fragte er zagend, ›habt Ihr diesen kunstreich gefaßten Stein, der Euer Ohr schmückt?‹ Leonore sagte: ›Meine Pflegeeltern haben mir schon früh dies Geschmeide eingehängt, und mich beschworen, es wie einen Talisman zu bewahren, indem es das Andenken von einem höchst würdigen Manne sei.‹
›Du bist meine Tochter!‹ sagte der alte Eremit, ›ich übergab dich jenen Leuten, als ich von meinem Wohnsitze durch der Feinde siegreiches Heer vertrieben wurde. O wie glücklich macht mich dieser Tag!‹«
»Was kann das für ein Krieg gewesen sein?« rief Vansen aus.
»O irgendeiner«, antwortete Rudolph hastig. »Ihr müßt die Sachen nie so genau nehmen, es ist mir in der Geschichte um einen Krieg zu tun, und da müßt Ihr gar nicht fragen: Wie? Wo? Wann geschahe das? Denn solche Erzählungen sind immer nur aus der Luft gegriffen, und man muß sich für die Geschichte, aber für nichts anders außer ihr interessieren.«
»Erlaubt«, sagte Franz bescheiden, »daß ich Euch widerspreche, denn ich bin hierin ganz andrer Meinung. Wenn mir eine Erzählung, sei sie auch nur ein Märchen, Zeit und Ort bestimmt, so macht sie dadurch alles um so lebendiger, die ganze Erde wird dadurch mit befreundeten Geistern bevölkert, und wenn ich nachher den Boden betrete, von dem mir eine liebe Fabel sagte, so ist er dadurch gleichsam eingeweiht, jeder Stein, jeder Baum hat dann eine poetische Bedeutung für mich. Ebenso ist es mit der Zeit. Höre ich von einer Begebenheit, werden Namen aus der Geschichte genannt, so fallen mir zugleich jene poetischen Schatten dabei ins Gedächtnis, und machen mir den ganzen Zeitraum lieber.«
»Nun das kann alles gut sein«, sagte Rudolph, »das andre ist aber auch nicht minder gut und vernünftig, daß man sich weder um Zeit noch Ort bekümmert. So mag es also wohl der Hussitenkrieg gewesen sein, der alle diese Verwirrungen in unsrer Familie angerichtet hat.
Der Schluß der Geschichte findet sich von selbst. Alle waren voller Freude, Leonore und Ferdinand fühlten sich durch gegenseitige Liebe glücklich, und der Eremit blieb im Walde, sosehr ihm auch alle
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