Franz Sternbalds Wanderungen
Gespräche und Spekulationen fortsetzten, und er ward von diesem neuen Anblicke des Lebens zu sehr betrübt, als daß er ihn hätte niederschlagen können.
Vansen lebte hier als Kaufmann vom zweiten oder dritten Range, der nicht sehr bedeutende Geschäfte machte, und daher nicht zu den bekannteren gehörte, der sich aber durch Aufmerksamkeit und gute Haushaltung ein ansehnliches Vermögen erworben hatte. Sternbald suchte ihn nach einigen Tagen auf, und das Haus seines neuen Freundes war ihm wie ein Schutzort, wie ein stilles Asyl gegen das tobende Gewühl der Stadt. Vansen wohnte in einer entlegenen Gegend, ein kleiner Garten war hinter seinem Hause; er sprach nur selten von seinen kaufmännischen Geschäften, und hatte nicht die Eitelkeit, andern, die nichts davon begriffen, seine Spekulationen mitzuteilen: er liebte es im Gegenteil, sich von der Kunst zu unterhalten, und er suchte eine Ehre darin, für einen Kenner zu gelten. Sternbalds kindliches Gemüt schloß sich nach kurzer Zeit diesem Manne an, er hielt ihn in seiner Unbefangenheit für mehr, als er wirklich war; denn Vansens Liebe zur Malerei war nichts als ein blinder Trieb, der sich zufälligerweise auf diese Kunst geworfen hatte. Er hatte angefangen, Gemälde zu kaufen, und nachdem er sich einige Kenntnisse erworben hatte, war es nur Eitelkeit und Sucht zu sammeln und aufzuhäufen, daß er es nicht müde ward, sich um Gemälde und ihre Meister zu bekümmern. So treiben viele Menschen irgendeine Wissenschaft oder Beschäftigung, und der wahre Künstler irrt sehr, wenn er unter diesen die verwandten Geister und die Verehrer der Kunst sucht.
Vansen hatte nur eine einzige Tochter, die er ungemein liebte. Sie galt in der Nachbarschaft für schön, und wirklich war ihr üppiger Wuchs, ihr heitres, strahlendes Gesicht in seiner kindlichen Rundung, und ihre klare weiße und rote Farbe neben den sprechenden Augen reizend zu nennen. Der Kaufmann bat unsern jungen Maler, sich mit dem Bildnis seiner Tochter zu versuchen, und Franz machte sich hurtig an die Arbeit. Seine Phantasie war nicht gespannt, er forderte nicht zu viel von sich, und das Bild rückte schnell fort und gelang ihm ungemein. Auch gefiel ihm das Antlitz und der volle blendende Busen um so mehr, je länger er daran malte.
Er bemerkte, daß das Mädchen fast immer traurig war; er suchte sie zu erheitern und ließ oft, wenn er malte, auf einem Instrumente lustige Lieder spielen, aber es hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung, sie wurde noch trübseliger, oder weinte gar: vor dem Vater suchte sie ihre Melancholie geflissentlich zu verbergen. Franz war zu gut, um sich in das Vertrauen eines Leidenden einzudrängen, er kannte auch die Künste nicht, oder verschmähte sie, sich zum Teilnehmer eines Geheimnisses zu machen, daher war er in ihrer Gegenwart nur in Verlegenheit.
In Vansens Hause versammelten sich oft viele Menschen, und zwar von den verschiedensten Charakteren, von denen der Wirt manche Redensart lernte, mit welchen er nachher wieder gegen andere glänzte. Franz hörte diesen Gesprächen mit großer Aufmerksamkeit zu, denn bis dahin hatte er noch nie so verschiedene Meinungen gehört, wie er hier, oft schnell hintereinander, vernahm. Vorzüglich zog ihn ein alter Mann an, dem er besonders gern zuhörte, weil jedes seiner Worte das Gepräge eines eigenen festen Sinnes trug. An einem Abend fing der Wirt, wie er oft tat, an, über die Kunst zu reden, und den herrlichen Genuß zu preisen, den er vor guten Gemälden empfände. Alle stimmten ihm bei, nur der Alte schwieg still, und als man ihn endlich um seine Meinung fragte, sagte er:
»Ich mag ungern so sprechen, wie ich darüber denke, weil niemand meiner Meinung sein wird; aber es tut mir immer innerlich wehe, ja ich spüre ein gewisses Mitleiden gegen die Menschen, wenn ich sie mit einer so ernsthaften Verehrung von der sogenannten Kunst reden höre. Was ist es denn alles weiter, als eine unnütze Spielerei, wo nicht gar ein schädlicher Zeitverderb? Wenn ich bedenke, was die Menschen in einer versammelten Gesellschaft sein könnten, wie sie durch die Vereinigung stark und unüberwindlich sein müßten, wie jeder dem Ganzen dienen sollte, und nichts da sein, nichts ausgeübt werden dürfte, was nicht den allgemeinen Nutzen beförderte: und ich betrachte dann die menschliche Gesellschaft, wie sie wirklich ist, so möchte ich fast sagen, es scheint, daß die Vereinigung nicht entstanden ist, um allgemein besser zu werden, sondern um sich
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