Franz Sternbalds Wanderungen
besitze ich sie dann nicht näher, als jeder andre Sterbliche?‹ antwortete der Sänger mit einer andern Scherzrede: ›glaubt mir, Freunde‹, fuhr er fort, ›von ähnlichen seltsamen Erscheinungen könnte ich euch Wunder erzählen.‹‹«
Vansen räusperte sich, Sternbald nickte dem Erzähler lächelnd zu, der, ohne sich stören zu lassen, so fortfuhr: »›Nur zu bald wurde ernste Wahrheit aus diesen Reden. Eine unbegreifliche Sehnsucht nach dem fernen niegesehenen Wesen faßte und durchströmte die Brust des Dichters; wie alle Quellen zu den Strömen, wie alle Ströme zum Meere unaufhaltsam fluten, so zogen alle Kräfte seiner Seele nur ihr, der Einzigen, Ungekannten zu. Er konnte nicht mehr zurückbleiben, er mußte die weite Reise unternehmen. Seine Freunde baten, der Fürst, sein Beschützer, beschwur ihn, aber umsonst; wollten sie ihn nicht sterben sehn, so müssen sie ihn gewähren lassen. Er stieg zu Schiffe. Die Winde waren ihm zu langsam, mit den Liedern seiner Sehnsucht wollte er die Segel füllen, und den Lauf des Fahrzeuges mit Gedankenschnelle beflügeln. Unendlich schöne Lieder sang er von ihr, er verglich und pries ihre Schönheit gegen alles was Himmel und Erde, Meer und Luft Reizendes und Liebliches umfängt. Aber sein Herz brach; er sank schwerkrank darnieder, als die Schiffer vom Mast schon fern, ganz fern das ersehnte Ufer wie eine Nebelwolke erspähten. Er raffte sich auf, er spannte sein Auge an, seine Seele flog schon an das Gestade. Das Schiff lief in den Hafen ein, das fremde Volk strömte herzu, um Nachrichten aus der Christenheit zu erfahren. Auch die Prinzessin wandelte in der Nähe der Kühlung der Palmen. Sie hörte von dem Sterbenden, sie stieg zum Schiff hernieder. Da saß er, an die Schultern eines Freundes gelehnt und sahe nun den Glanz der Augen, die Schönheit der Wangen, die Frische der Lippe, die Fülle des Busens, die er so oft in seinen Liedern gepriesen hatte. ›O wie beglückt bin ich!‹ rief er aus, ›daß doch mein brechendes Auge noch wahrhaft sieht, was ich ahndete, und daß die Wahrheit meine Ahndung übertrifft. Ja, so wird es mit aller Schönheit sein, wenn sie sich einst schleierlos unserm entkörperten Auge zeigt.‹ Der weinende Freund sagte ihr, wer sich anbetend zu ihren Füßen niedergeworfen hatte, sie kannte seinen Namen und manche seiner geflügelten Töne waren schon über das Meer zu ihrem Ohre gekommen; sie beugte sich nieder und hob ihn auf, er lag in ihren Armen, das süßeste Lächeln schwebte im Andenken seiner Wonne auf seinem bleichen Antlitz, denn er war schon verschieden. ›So liebt mich niemand mehr, so liebt auf Erden niemand‹, seufzte die Fürstin, küßte zum ersten- und letztenmal den stummen, sonst so gesangreichen Mund, und nahm den Nonnenschleier.‹ –
›Glaubst du denn eine Silbe von diesem alten Märchen?‹ fuhr Leopold auf. ›Dergleichen ist nicht möglich und gegen alle Natur, es ist nur Dichtung und Lüge eines Müßiggängers.‹«
»Der trifft den Nagel auf den Kopf«, sagte Vansen, »dergleichen hat sich nie wirklich begeben.«
»Es ist unbegreiflich«, merkte Peters an, »wie der menschliche Geist nur auf dergleichen Torheiten verfallen kann: noch seltsamer aber, daß sich ein andrer Aberwitziger mit solchem Wahnsinn trösten will.«
»Und ist es denn nicht dasselbe«, sagte Sternbald nicht ohne Rührung, »diese Geschichte mag wahr oder ersonnen sein? Wer erfand sie denn wohl? Niemand als die Liebe selbst, und diese ist ja doch wundervoller, als alle Dichtungen und Lieder sie darstellen können?«
»Wenn Ihr in der Malerei«, sagte Vansen, »ebensosehr für das Unnatürliche eingenommen seid, wo dann Farben und Figuren hernehmen, junger Freund?«
»Nach dieser Erzählung«, so fing Florestan von neuem an, »nahm Ferdinand seinen Freund herzlich in die Arme. ›Laß mich gehen‹, sagte er, ›sei nicht traurig, denn du siehst mich gewiß wieder, ich bleibe gewiß nicht aus. Vielleicht ändert sich auch unterwegs mein Gemüt, wenn ich die mannigfaltige Welt mit ihren wechselnden Gestalten erblicke; wie sich dieses Gefühl wunderbarlich meines Herzens bemeistert hat, so kann es mich ja auch plötzlich wieder loslassen.‹
Sie gingen nach Hause, und am folgenden Morgen trat Ferdinand wirklich seine seltsame Wanderschaft an. Leopold sah ihm mit Tränen nach, denn er hielt die Leidenschaft seines Freundes für Wahnsinn, er hätte ihn gern begleitet, aber jener wollte durchaus nur allein das Ziel seiner
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