Franz Sternbalds Wanderungen
können mich auf keine Weise beruhigen, und wenn du mich und mein Herz kenntest, so würdest du auch darauf gar nicht ausgehen wollen. Ich gebe dir recht, du hast vollkommen vernünftig gesprochen; allein was ist mir damit geholfen? Ich kann dir nichts antworten, ich fühle nur, daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufsuche, das meine Seele ganz regiert. Denn könnte ich vernünftig sein, so würde ich gewiß nicht einen Traum lieben; könnt ich auf deinen Rat hören, so würde ich mich nicht in der Nacht schlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder die ägyptische Kleopatra liebte, mit dieser heißen brennenden Liebe des Herzens, wenn ich nun auch ginge, und sie in der weiten Welt aufsuchte, so wie ich jetzt ein Bild suche, daß vielleicht nirgendwo ist: was könnte mir auch dann all dein Reden nützen? Doch nein, sie lebt, mein Herz sagt es mir, daß sie für mich lebt, und daß sie mich mit stiller Ahndung erwartet. Und wenn ich sie nun gefunden habe, wenn die Sterne günstig auf mein Tun herunterscheinen, wenn ich sie in meinen Armen zurückbringe, dann wirst du mein Glück preisen, und mein jetziges Beginnen nicht mehr unvernünftig schelten. So hängt es also bloß von Glück und Zufall ab, ob ich vernünftig oder unvernünftig handle, ob die Menschen mich schelten oder loben; wie kann also dein Rat gut sein? Wie könnte ich vernünftig handeln, wenn ich ihm folgte? Wer nie wagt, kann nie gewinnen, wer nie den ersten Schritt tut, kann keine Reise vollbringen, wer das Glück nicht auf die Probe stellt, kann nicht erfahren, ob es ihm günstig ist. Ich will also getrost diesen Weg einschlagen, und sehn, wohin er mich führt. Ich komme entweder vergnügt, oder nicht zurück. – Hast du nie die wunderbare Geschichte von Gottfried Rudell gehört?‹
›Nein‹, sagte Leopold verwirrt. ›So will ich sie dir erzählen‹, sprach der Liebende, ›denn sie bestätigt mein Gefühl, das dir so einzig und widersinnig erscheint.‹«
»Halt!« rief Vansen, »die Sache neigt sich zum Verwirrten, daß hier eine neue Erzählung in die vorige eingeflochten wird.«
»Und was schadet es«, sagte Florestan, »wenn es Euch nur unterhält und die Zeit vergeht?«
»Es steht nur zu besorgen«, sagte Peters bedächtlich, »daß es uns nicht unterhalten werde, denn man wird gar leicht konfuse, und da die Sache an sich selbst schon nicht sehr interessiert, so wird diese Episode das Übel nur ärger machen.«
»Was kann ich denn aber dafür«, erwiderte Rudolph, »daß der verliebte Schwärmer seinem Freunde damals diese Historie wirklich erzählt hat? Ich muß doch der Wahrheit getreu bleiben.«
»Nun so erzählt wie Ihr wollt«, sagte Vansen, »tragt die neue Geschichte vor, aber nur unter der Bedingung, daß in dieser Historie sich nicht wieder eine neue entspinnt, denn das könnte sonst bis ins Unendliche fortgesetzt werden.«
»Also denn«, nahm Florestan wieder das Wort, »fing der schwärmende Ferdinand seinem vernünftigen Freunde Leopold mit diesen Worten die Geschichte des Gottfried Rudell zu erzählen an: ›Dieser Rudell, mein teurer Freund, war einer von den Dichtern in der Provence, in jener schönen Zeit, als die Welt durch Lieder und süße Sprache, die Menschen durch Sehnsucht, die Länder durch Ritterschaft und der Orient mit Europa durch die heiligen Kriege verbunden waren. Dieser Sänger Gottfried, aus adelichem Geschlecht, machte sich durch seine lieblichen Weisen so berühmt, daß ihm Herren und Grafen gewogen waren und ein großer Fürst sich um seine Freundschaft bewarb, und ihn niemals von seiner Seite lassen wollte. Da fügte es sich, daß Pilger, die aus dem Heiligen Lande zurückkehrten, ihm unter den Wundern der fremden Länder auch die Gräfin von Tripolis nannten, und ihm ihre hohe Tugend, ihre Schönheit und ihren Reiz beschrieben. Er sah andre Reisende, die aus der Gegend zurückwanderten, und wieder fragte er, und wieder rühmten sie entzückt die überirdische Schönheit des Frauenbildes. Seine Imagination ward von diesen Schilderungen so ergriffen, daß er begeistert das Lob der Dame in die Töne seiner Laute sang. Ein Freund sagte einmal scherzend, indem er seinen Gesang bewunderte: ›Du bist entzückt, Dichter, kannst du denn so über Meere hinüber vielleicht lieben, ohne den Gegenstand deiner Leidenschaft zu kennen, oder je mit irdischen Augen gesehn zu haben?‹ ›Wie, wenn sie mir nun selbst im Gemüte, in meinem Innern wohnt,
Weitere Kostenlose Bücher