Frau Hoffmanns Erzählungen
genannt Frau Hoffmann, liegt wie üblich zusammengerollt auf dem Sofa. Es ist ihre Lieblingsbeschäftigung. Ich weià nie, ob sie schläft oder meditiert oder den Schlaf nur vortäuscht und alles registriert, was um sie herum geschieht.
Manchmal denkt sie auch. Sie denkt über alles nach, was sie im Fernsehen sieht oder in den Druckerzeugnissen liest, die hier reichlich rumliegen.
Deshalb überrascht es mich nicht, daà sie mir jetzt eine Frage stellt, ohne die Augen zu öffnen:
»Du bist doch auch ein Kritiker, nicht wahr?«
Ich habe keinen Grund, es zu leugnen, und sage: »Ja, warum?«
Nun blinzelt sie ein wenig und wechselt von der gerollten Stellung in die sitzende. Dabei wird mit offener Schnauze gegähnt und ein Hinterbein wollüstig gestreckt. »Kann es sein, daà dich jemand umbringen will? Jemand, den du häufig kritisiert hast?«
Ich überlege blitzschnell. Natürlich hat sie die Affaire Walser im Fernsehen verfolgt. Aber macht sie sich nun Sorgen um mein Wohlergehen, oder hofft sie sensationslüstern, Augenzeuge eines Krimis zu werden?
»Hör zu«, beginne ich meinen Sermon, »Köche sind zwar oft genauso eitel wie Schriftsteller und sicher ebenso leicht beleidigt, wenn man ihr Genie nicht anerkennt. Sie hätten es sogar ziemlich leicht, einen unliebsamen Gast umzubringen. Eine Prise Rattengift in den Reis, etwas Zyankali unter den Kaviar gemischt oder einfach in die Suppe gespuckt, das ist unauffälliger, als einen Mord in einem Buch unterzubringen. Aber bisher hat es noch keiner versucht.«
»Vielleicht bist du als Kritiker nicht kritisch genug.«
»Vielleicht kochen unsere Köche auch nicht so schlecht, wie Walser schreibt!«
»Und was ist mit dem vergifteten Weizen?«
»Der galt nicht mir. Der galt den Ãkobauern.«
»Wen haben die denn beleidigt?«
»Wenn man es genau nimmt, haben sie alle Bauern beleidigt, die nicht ökologisch arbeiten. Aber auch die Chemiefabriken haben sie beleidigt, die Hersteller von Tierfutter allgemein und die GroÃagrarier mit ihrem Lobbyisten Sonnleitner im besonderen.«
»Den kennâ ich. Der möchte die Frau Künast umbringen.«
»So was darfst du nicht sagen! Das ist Verleumdung.«
»Das ist die Wahrheit! Man sieht es ihm deutlich an. So wie ich seinem Freund aus München ansehe, daà er gar nicht Kanzler werden will.«
»Wenn du dich da nicht irrst!«
»Pah! Der fürchtet sich in Berlin.«
»Vor wem soll er sich denn hier fürchten?«
»Weià ich auch nicht. Vielleicht vor den groÃen Häusern.« Frau Hoffmann gähnt ungeniert und sucht aufs neue eine Schlafstellung auf dem Sofa. Es fällt ihr schwer, sich lange auf ein Thema zu konzentrieren. Nur vor einem Mauseloch hält sie es stundenlang aus. Dabei ist das mit den groÃen Häusern einen Gedanken wert. Wenn ich sehe, wie die Japaner hier die Häuser fotografieren, frage ich mich immer, warum sie das so eifrig tun. Frau Hoffmann hatâs erkannt. Die Berliner Häuser sind zu groÃ. Deshalb werden sie von den Japsen fotografiert, und deshalb wollen Bayern hier nicht hin. So einfach ist das: Fragen Sie Frau Hoffmann!
Was aber die Frage nicht klärt, warum die Berliner es in ihrer Stadt zwischen den groÃen Häusern immer noch aushalten.
Jitterbug gegen die Berliner Langeweile
Wenn ich von meinen Exkursionen im Berliner Dschungel zurückkomme, sitzt Frau Hoffmann entweder auf dem Parkett, oder sie schläft auf dem Sofa. Kein sehr abwechslungsreiches Fitnessprogram für eine Katze, sollte man meinen.
Doch heute tanzt sie. Sie tanzt mit einer Maus. Mit einer Stoffmaus, wie ich sofort erkenne. Aber immerhin. Eine reale Maus in diesem modernen Gebäude würde den Architekten von Bilbao bis New York unmöglich machen.
»Woher hast du die Maus?« unterbreche ich ihren Pas de deux.
»Von Madame Kiew. Es gibt noch Menschen, die mich vor der Berliner Langeweile bewahren wollen.« Ihre Auskunft artikuliert sie mit nicht zu überhörendem Vorwurf. Madame Kiew nennen wir die freundliche Russin mit dem Staubsauger, vor dem sie sich inzwischen nicht mehr fürchtet.
»Die Berliner Langeweile, wie du sie nennst, ist längst nicht so langweilig wie die Münchner Langeweile. Du wirst bemerkt haben, daà sie da unten im Hindukusch wieder arbeiten.«
»Ja, sie machen Lärm. Und wenn das Haus fertig ist, sieht
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