Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
erfolgreich sein muss, doppelt so sehr gefallen muss, um den Verlust der Eltern wettzumachen. Auf dem Leben dieser zweiten Annetje hat von Anfang an eine schwere Bürde gelastet.
Zum Beispiel die vielen Variationen ihres Namens. In der Schule wurde aus Annetje
Annie.
In ihrer Pflegerinnenzeit hieß sie
Anneke
.
Tanneke, Ant, Annie, Antje
wurde sie dann in ihren Jahren als Wochenpflegerin meist genannt. In den zwanziger Jahren tauchen
Ans
und
Ank
auf. Und in ihrer späten Ehe mit dem Sänger Christiaan Mansborg ist es
Ann
. Für uns Enkelkinder war sie
Oma Annetje
.
Annetje muss Mühe gehabt haben, sich ihren eigenen Platz in der Welt zu erobern. Um die für sie im besten Fall erreichbaren Segnungen, einen eigenen Mann, ein eigenes Haus, ein eigenes Kind, musste sie sehr hart kämpfen, mit mäßigem Erfolg.
Vera war sechs, als die erste Annetje starb und durch die zweite ersetzt wurde. Kein Wunder, dass diese jüngere Schwester ihr immer besonders nahestand. Näher als die Brüder, und sogar näher als Jopie, die jüngste der Schwestern. Ihr ganzes Leben hindurch hat zwischen den beiden ältesten Schwestern immer ein ganz besonders enges Band bestanden.
Annetjes Kindheit war glücklich. Im Haus der Beetsens ging es zwar streng zu, doch es war auch gesellig. Es gab die Eislaufausflüge, auf die alle ganz versessen waren; Kirmes und Sommerfeste, später die Tanzabende; und die Brüder brachten nette Freunde mit nach Hause. Die drei Schwestern waren schön, wie die erhalten gebliebenen Fotos beweisen: Vera blond und stattlich, Annetje dunkel und ernst, mit kohlschwarzen Augen, und Jopie sah mit ihren schwarzen Locken fast wie eine kleine Zigeunerin aus. Alle drei standen schon in jungen Jahren auf den Brettern des Theatervereins
Voorwaarts
, dessen Vorsitzender Vater Beets war. Vor allem Vera und Annetje müssen vielversprechende Schauspielerinnen gewesen sein. Vera erhielt, so scheint es, sogar vom damals bekannten Schauspieler Eduard Verkade das Angebot einer Theaterkarriere. Doch stattdessen wählte sie die Krankenpflege, das war auch viel sicherer, und so viele seriöse Berufefür Mädchen gab es ja damals noch nicht. Etwa 1905 erwarb sie ihr psychiatrisches Pflegediplom, ihr ›schwarzes Kreuz‹, in der Klinik Meerenberg in Santpoort. Ihre Laufbahn als Pflegerin musste sie allerdings schon zwei Jahre später aufgeben, als sie den jungen Fayencenhersteller Jacob Vlek heiratete. Das junge Paar zog nach Arnheim, wo Jacob seine neue, später berühmte, Fabrik gründete, in der Nähe ihres Hauses am Rhein. Annetje, mittlerweile neunzehn, zog mit um – fand eine Stelle als Pflegehelferin im nahe gelegenen Elisabeth-Hospital, pendelte aber noch oft genug zwischen Arnheim und Purmerend hin und her, um auf den Purmerend’schen Brettern Triumphe feiern zu können.
1908 nimmt Annetje sogar an einem internationalen Theaterwettbewerb in Ostende teil, wo sie eine lobende Erwähnung einheimst:
Voorwaarts
aus Purmerend (2. Preis, 300 Franc) gab am Sonntag dem 12. Januar 1908 das Lustspiel
In Politiek
. Schwungvoll gespielt, gefiel es vorzüglich. Hervorzuheben ist Frl. Beets. Sie war eine glänzende Besetzung für die vielschichtige Rolle der ›Jenny‹ in dieser Komödie.
So weit, so gut. Das war mein erster Ansatz für Oma Annetjes Geschichte. Beim Jahr 1909 stieß ich auf ihre Verlobung mit Dick Melk und zögerte, ob ich die erwähnen sollte oder nicht.
Melk war ein junger Fayencenmaler, der Veras Ehemann, Jacob Vlek, nach Arnheim gefolgt war, um in dem neuen Werk zu arbeiten. Dass er auch ein verdienstvoller Sonntagsmaler gewesen ist, beweist das offizielle Porträt von Mutter Beets, das ihr 1906 zu ihrem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag von der versammelten Nachkommenschaft überreicht wurde. Und es gab auch zahlreiche Purmerend’sche Mühlenansichten von ihm, die noch in verschiedenen Treppenhäusern der Verwandtschaft zu bewundern sind. Doch in Oma AnnetjesNachlass hatte ich kein Wort oder Bild von Melk gefunden. Das war irgendwie merkwürdig, angesichts der unzähligen Briefe, Fotos und Dokumente, die sie aufgehoben hatte. Sie sprach immer abfällig über Melk. Und im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie ihre Verlobung irgendwann gelöst. Ihre Karriere hatte sie weitaus höher geschätzt als eine Ehe.
Oder hatte etwa der sehr viel ältere, verheiratete H. C. Oud damals schon ihre Gefühle beherrscht?
Ich rief beim Archiv von Noord-Holland an. Anscheinend gab es dort noch gebundene
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