Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Jahrgänge vom
Purmerend’sche Courant
. Womöglich ließ sich dort noch das ein oder andere über ihre frühen Jahre herausfinden.
Allein schon mit den Jahrgängen 1907, 1908 und 1909 brachte ich einen ganzen Tag zu. Die Familie Beets wurde viele Male darin erwähnt. Mein Urgroßvater, Pieter Beets, hatte schließlich im Gemeinderat gesessen und war ja auch Vorsitzender des Theatervereins, in dem alle drei Töchter geglänzt hatten.
Die Tätigkeiten dieses Vereins wurden vom
Courant
besonders aufmerksam verfolgt:
Die Bürgervereinigung
Burgernut
hielt am Sonnabend, den 28. dieses Monats, ihre erste Zusammenkunft im Café des Herrn De Jong ab. Der Saal war restlos gefüllt, was nicht verwunderlich war, da unter anderem Herr Beets, der Leiter des Theatervereins
Voorwaarts
, und seine Tochter, Frl. Annie, auftreten sollten, die bekannte und mehrmals ausgezeichnete Declamatrice. Mit einer geistreichen Ansprache des Vorsitzenden der Bürgervereinigung wurde die Sitzung eröffnet. Danach trat Herr Beets auf, sein Vortrag
Verzweiflung und Verbrechen
erntete tosenden Beifall. Dann gab Frl. Beets einige Darbietungen, die ebenfalls sehr wohlwollende Aufnahme fanden. Frl. Beets hat eine schöne Stimme und versteht sie sowohl in ernsten wie auch in humorvollen Stückentrefflich einzusetzen, ihr Freimut und ihre Ausdrucksstärke sind außerordentlich bemerkenswert. Abwechselnd traten Vater und Tochter vor uns auf …
Neben Pieter Beets und seinen schauspielernden Töchtern stieß ich aber mit ebenso großer Regelmäßigkeit auf einen anderen guten Bekannten. Auch die Familie Oud stammte aus Purmerend. H. C. Oud hatte zusammen mit Annetjes Vater im Gemeinderat gesessen.
Im Januar 1909 wurde H. C. Oud einstimmig zum Stadtrat für Öffentliche Bauten ernannt. Wie es scheint, war er Vorstandsmitglied der Handwerkervereinigung
Vooruit
, aus der dann der Theaterverein
Voorwaarts
hervorging. Anlässlich der Feier zum zwölfeinhalbjährigen Jubiläum des Vereins, im Mai 1909, wird er als Ehrenmitglied erwähnt. Zudem war er Diakon der Niederländischen Reformierten Kirche, in der alle Beetsens getauft wurden, und Vorsitzender des Eisklubs, wo Pieters Kinder ihre herrlichen Eislauf-Erinnerungen sammelten.
Sogar Tante Tinis Geschichte, dass Annetje sich das Geld für ihre Krankenschwesterausstattung angeblich von H. C. Oud geliehen hatte, nahm an Wahrscheinlichkeit zu, als ich auf folgende Anzeige stieß:
H. C. OUD, Purmerend, übernimmt zu angemessenen Bedingungen das Ausführen von Effecten-Ordern. Abschluss und Anlage von Prolongationen und Beleihungen, An- und Verkauf von Coupons, Versicherungen usw. Gelder verfügbar für erste Hypotheken (ohne Vorauszahlung von Zinsen)
H. C. Oud, so schien es, war von Anfang an im Spiel gewesen. Er hatte Annetje als junges Mädchen auftreten sehen, hatte sie eislaufen sehen, zur Schule gehen sehen. Seine Söhne mussten mit Annetjes Brüdern auf der Schule gewesensein, wenn sie nicht sogar die netten Freunde waren, die die Brüder mit nach Hause brachten.
Gegen Ende 1909 bewirbt sich Annetje um einen Ausbildungsplatz am Städtischen Krankenhaus in Utrecht. Das bisschen Mathematik, Deutsch und Englisch, das dafür verlangt wird, bringen ihr die Sekretärinnen ihres Schwagers bei. Als Annetje die Nachricht erhält, dass sie im Januar 1910 anfangen kann, ist sie im siebten Himmel. Aber es gibt ein Problem: die Schwesternausstattung, für die sie selber aufkommen muss. Von ihrem ersten verdienten Geld hat sie sich zwar schon eine Singer-Nähmaschine gekauft, und Muster für Uniformen kann sie sich aus der
Zeitschrift für Krankenschwestern
heraussuchen. Aber den Stoff für die Schwesterntracht, die Kragen und Manschetten, die Strümpfe, Schuhe, der Mantel, Hut, das Schlafzeug – wovon soll sie das alles bezahlen? Ihr Schwager Jacob hat nach der Geburt des Erstlings Jan, dem Umzug in ein größeres Haus in einer besseren Gegend und wegen der bevorstehenden Erweiterung der Fabrik nicht den finanziellen Spielraum, um ihr zu helfen.
Annetje kennt nur eine Person, die in dieser Lage helfen kann: H. C. Oud, ein angesehener Bürger ersten Ranges, der neben seinen vielen gesellschaftlichen Funktionen auch Grundstücks- und Wertpapiermakler ist und von seinem Büro über seinem Zigarrenladen in der Peperstraat aus eine Kreditbank betreibt. Kein Purmerender mit Mut und Unternehmungsgeist hat je vergeblich bei ihm angeklopft.
Auf einem
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