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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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meine Mutter, mit ihrem taufrischen Stiefsohn Lepel verkuppelt hat – meinem späteren Vater. Die unentwirrbare Verstrickung von Schwieger und Stief, die das zur Folge hatte, hatte Oma Annetje ihre zentrale Position in der Familie verschafft. Selber niemandes Mutter, war sie doch mit jedem verwandt – durch Bande, die ebenso zäh und unausrottbar waren wie die Efeuranken an der Fassade von Vosseveld.
    »Ihre späte Heirat mit unserem Vater war die Krönung von Anns Leben«, stellte Onkel Henk fest. »Vater war 1939 gerade in Pension gegangen, nachdem er dreißig Jahre lang am Konservatorium Professor für Gesang gewesen war. Nach der Scheidung von Pij wollte er sich eigentlich in Zandvoort zur Ruhe setzen. Dort hat sich Ann, nach dem Tod des alten Oud, mit ihm zusammengetan. Bald darauf sind sie nach Vosseveld umgezogen, wo sie glückliche Jahre verbrachten – auch wenn Ann sicher auch schwere Zeiten mit Vater hatte. Wir sind ihr heute noch dankbar für die Art und Weise, wie sie ihm vor allem sein Leiden in den Jahren seiner Krankheit erleichtert hat.«
    »Außer in der Zeit, wo er im Irrenhaus saß«, sagte mein schwergewichtiger Vetter Philip, der sich zwischen mich und meine Schwester gezwängt hatte. Der Fuß meines Vaters fing an zu wippen. Seine ganze Gestalt strahlte Verärgerung aus, und eine meiner Tanten zischte laut: »Pssst.«
    Ich hatte mich gerade gefragt, warum Oma Annetje so lange gezögert hatte, bevor sie auf Großvaters Heiratswunsch einging, wenn sie doch anscheinend gleich nach Ouds Tod zuihm gezogen war – als Onkel Henk ein Thema anschnitt, bei dem jeder aufmerkte.
    »…   vielleicht nett, hier noch einen Aspekt von Ann zu erwähnen, der uns allen wohlbekannt ist: ihre übersinnlichen Fähigkeiten.«
    Amüsiertes Gegrinse. Wer erinnerte sich nicht an Oma Annetjes Kartenlegen, ihre rituelle Besprechung von Warzen, ihre Handschriftendeutung und, in Fällen von unerwiderter Liebe, ihre Beschwörung von Taschentüchern der angebeteten Personen.
    »Ich habe ehrlich gesagt nicht so viel davon gehalten«, bemerkte Onkel Henk. »Ich bin zu nüchtern für solche Dinge. Doch war ich schon beeindruckt, als ich auf Vosseveld mal einer spiritistischen Sitzung beiwohnte. Ann fungierte dabei als Medium, und es kamen allerlei Verstorbene zu ihr durch, sogar das Hündchen des alten Oud.« Geschmunzel und Geflüster, doch Onkel Henk setzte seine Rede unbeirrt fort. »Als Vater 1953 gestorben war, blieb Ann allein auf Vosseveld zurück. Auf die Dauer konnte sie das große Haus allerdings nicht unterhalten   …« Der Fuß meines Vaters wippte heftiger. »Und dann sind Lepel und Mary Anfang 1958 mit ihren Kindern bei ihr eingezogen. Das Zusammenleben verlief bedauerlicherweise nicht ohne Reibungen.«
    Takt war noch nie Onkel Henks Stärke gewesen, aber dass er hier jetzt das ganze Debakel des Zusammenlebens von meinen Eltern, uns Kindern und Oma Annetje auf Vosseveld ausbreitete, ging einfach zu weit. Das Gerangel um den Besitz, der Umbau, die ganze Zerrerei und schließlich Oma Annetjes Auszug – nichts blieb der Trauergemeinde erspart.
    »…   nach einem guten Jahr war es gründlich schiefgelaufen und Ann musste sich eine andere Bleibe suchen. Über den Abschied von Vosseveld ist sie eigentlich nie hinweggekommen   …«
    Es folgte eine kurze Zusammenfassung von Omas letztendrei Lebensjahrzehnten, in denen eigentlich nicht mehr viel passiert war. Fünfzehn Jahre hatte sie noch in ihrer kleinen Wohnung in Baarn in ihrem Grimm geschmort, hinter ihrem Teeservice hockend wie eine entthronte Monarchin. Dann kamen die letzten Jahre, als Zimmerpflanze im Seniorenheim.
    »Das Ende dürfte für Ann eine Erlösung gewesen sein«, schloss Onkel Henk. »Sie war eine fleißige, resolute Frau, die mit ihrer so typischen Herzlichkeit und Großzügigkeit stets für andere da war. Möge sie in Frieden ruhen und in unserer Erinnerung lebendig bleiben. Amen.«
    Erleichtert atmeten alle auf. Als die Prozession sich zum Grab in Bewegung setzte, wollte ich mich zu meinem Vater gesellen, aber er wehrte meinen Arm ab und ging vor. Er legte ein solches Tempo vor, dass er beinahe den Sarg überholt hätte.
    »Dass Lepel nichts sagen wollte«, bemerkte eine der Beetsens. »Er war früher doch so versessen auf Tante Ann.«
    Mein Vater war in ihren letzten Stunden bei Oma Annetje gewesen, hatte über diesen Abschied aber wenig verlauten lassen. Ich hatte bei ihm eher Unmut als Trauer verspürt.
    Mehr noch: Als wir vor drei Tagen

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