Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Beets, Privatperson, unter Vereinbarung der Gütertrennung verheiratet mit Herrn Christiaan Mansborg, Hochschullehrer im Ruhestand, wohnhaft in Zandvoort, in Begleitung ihres hier zu ihrem Beistand erschienenen Ehemanns, andererseits.
Der Komparent erklärte, an vorgenannte Frau Annetje Mansborg geb. Beets das unten näher bezeichnete Anwesen verkauft und hiermit in vollem, freiem und unbelastetem Eigentum übertragen zu haben …
»Gehörte Vosseveld denn Oma Annetje?«, fragte ich erstaunt. »Ich dachte immer, es habe Großvater gehört.«
»Nein, es war ihres. Vater besaß keinen Cent«, sagte mein Vater. »Das Konservatorium hat ihn nach dreißig Jahren Lehrtätigkeit mit einer Pension von jämmerlichen dreißig Gulden im Jahr abgespeist. Denkst du, dass er damit ein Haus hätte kaufen können?«
Damit erschien das ›Theater‹ um Großvaters Erbschaft plötzlich in einem ganz anderen Licht. Dass Oma Annetje nicht hatte raus wollen, ihrem Versprechen zum Trotz, war so gesehen nicht weiter verwunderlich, da sie ja anscheinend berechtigte Ansprüche auf das Haus hatte.
»Aber wovon hat sie es denn bezahlt?«
»Mein Gott, kennst du die Geschichte etwa nicht?« Mein Vater hatte sich eine Pfeife gestopft und war nach all den gefühlsgeladenen Ereignissen tatsächlich in einer mitteilsamen Stimmung. »Als der alte Oud im Sterben lag, sah es so aus, als ob Ann vor die Tür gesetzt werden würde. Weil die Söhnevom Oud sie nicht ausstehen konnten. Die haben auch verhindert, dass ihr Vater sie heiratet. Das Haus am Overtoom sollte verkauft werden, und dann würde Ann auf der Straße stehen. Da ist meine Großmutter auf ihren Krücken zum alten Oud gehumpelt …«
»Deine Großmutter? Hat die denn Oma Annetje gekannt?«
»Ja – die alten Braakensieks wohnten ein paar Häuser weiter. Und Großmutter Braakensiek – die hieß nicht umsonst die Oberin vom Overtoom. Die hatte immer für jeden das Beste im Sinn. Hat sich überall eingemischt. Sie würde sich mal um die arme Ann kümmern, hat sie gesagt. Also ist sie auf ihren Krücken zum Haus vom Oud gehumpelt …«
»Aber dann müssen sich ja Oma Annetje und deine Mutter auch gekannt haben«, sinnierte ich. »Ihr habt doch auch am Overtoom gewohnt. Können Großvater und Oma Annetje nicht schon vorher was miteinander gehabt haben, ich meine, vor der Scheidung deiner Eltern?«
»Ausgeschlossen«, sagte mein Vater und zündete seine Pfeife noch einmal an.
»Onkel Henk hat doch vorhin gesagt, dass sie direkt nach Großvaters Scheidung geheiratet hätten. Gleich nach dem Tod von dem alten Oud.«
»Henk geht’s nicht mehr so gut. Der bringt alles durcheinander.«
»Aber ihr kanntet Oma Annetje also schon.«
»Wir waren Nachbarn!«, sagte mein Vater und wirkte überrascht, dass ich das nicht wusste. »Wir wohnten oben, Oud wohnte im Nachbarhaus im Parterre. Ann – tja. Sie wird ab und zu schon mal bei uns gewesen sein. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich aus meinem Dachkammerfenster in ihren Garten gucken konnte und dass ich da manchmal ein Mädchen hab spielen sehen: Das war Mary, die da bei ihrer Tante übernachtete. Natürlich ahnten wir beidenicht, dass sie später mal meine Frau werden sollte und deine Mutter … Aber um die Geschichte abzuschließen«, fuhr er nach einem kurzen Augenblick fort: »Großmutter Braakensiek, alias die Oberin, ist damals zu Oud ins Krankenzimmer gehumpelt, auf ihren Krücken, und hat ihn ganz direkt gefragt: Oud, hast du was für Annetje getan? Weil die steht sonst auf der Straße. Großmutter ist eine halbe Stunde lang bei ihm gewesen, und als sie nach dieser halben Stunde wieder rauskam, hat sie zu Ann gesagt: ›So, jetzt ist alles geregelt.‹ Wie sich dann zeigte, hat der alte Oud Ann zehntausend Gulden vermacht. Na ja, und davon hat sie dann Vosseveld gekauft.« Mein Vater war völlig außer Atem nach diesem für ihn ungewöhnlich langen Wortschwall, aber ich sah zu meiner Befriedigung, dass er wieder etwas von seiner früheren Lebendigkeit hatte; sogar seine Wangen hatten jetzt ein bisschen Farbe. Seit dem Tod meiner Mutter vor einem Jahr war sein Gesicht meist schrecklich bleich gewesen.
Als mein Vater in die Küche ging, um den Hund zu füttern, schnappte ich mir das Krankenschwesterdiplom, die Übertragungsurkunde, das schwarze Notizbuch und das Störchlein, tat einen ordentlichen Griff in den Papierkorb und stopfte alles in meine Tasche.
Mein Blick fiel noch auf einen Brief
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