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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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im Auftrag der Gemeinde und versuchten, ihre Familien durchzubringen. Es wurden auch Straßen gebaut, eine neue Kläranlage und ein riesiger Gewerbehof, doch für diese Arbeiten brachten die Baufirmen ihre eigenen Leute mit, die nicht einmal ein Quartier im Dorf benötigten, da sie in Wohnwagen hausten. Die Bauern wirtschafteten nun den ganzen Tag auf dem eigenen Gehöft, besserten Wohnhaus und Ställe aus, auf der Straße vor meinem Haus fuhr nun häufiger als früher ein Auto vorbei. Irgendwie schienen die Wochentage aufgehoben, es war, als sei immer Sonntag. Dann verschwanden nach und nach die jungen Leute, sie zogen in andere Regionen. Eines Tages sagte mir Frau Dickert, die als Versicherungsvertreterin arbeitete und früher Agrarökonomin gewesenwar, eine Frau in meinem Alter, mit der ich mich gern unterhielt, dass wir, sie und ich, die jüngsten Dorfbewohner seien. Sie lachte verbittert, als ich sie fragte, wie das denn sein könne.
    »Wir sind die Jüngsten«, wiederholte sie, »und dabei lebe ich wie eine uralte Frau, Tag für Tag immer das Gleiche. Nach der Kündigung war ich heilfroh, für die Versicherung arbeiten zu können. Ich dachte anfangs, nun würde ich mit Menschen arbeiten, könnte ein paar Leuten helfen, aber ich muss jetzt sehr darauf achten, wo ich selbst bleibe. Ich brauche neue Abschlüsse, die Leute haben kein Geld mehr, und ich versuche, ihnen etwas einzureden. Mein Mann hat schon seit zwei Jahren keine Arbeit, er kommt am Morgen gar nicht mehr aus dem Bett, liegt bis acht, neun Uhr in der Falle, dabei kann er gar nicht mehr richtig schlafen. Und auch mir fällt das Aufstehen jeden Tag schwerer. Seit die Kinder aus dem Haus sind und mein Mann und ich keine richtige Arbeit mehr haben, weiß man gar nicht, wozu. Da haben Sie es besser, Frau Trousseau.«
    »Für mich ist es auch schwieriger geworden, seit mein Junge nicht mehr bei mir ist. Mir geht es wie Ihnen, ich habe manchmal das Gefühl, uralt zu sein.«
    »Aber Sie können Ihre schönen Bilder malen und verkaufen, man bewundert Sie und Ihre Arbeiten. Sie haben einen Beruf, der Ihnen Spaß macht. Sie wissen wenigstens, wozu Sie leben.«
    »Ja, die Arbeit hilft, Frau Dickert, da haben Sie Recht.«
    »Zum Glück haben wir das Haus. Es gehört uns, da müssen wir wenigstens keine Miete zahlen. Und es ist ein Unglück, denn wegen des Hauses können wir nicht wegziehen. Wir können es nicht verkaufen, keiner zieht mehr hierher, alle verschwinden, und wir können es unsnicht leisten, das Haus einfach aufzugeben. Es ist unser goldener Käfig geworden, wir können nicht davonfliegen wie unsere Kinder.«
    Sie stand mit hängenden Schultern vor mir und wirkte tatsächlich wie eine alte Frau, dabei war sie erst Mitte vierzig. Als ich wieder in meinem Atelier saß, fragte ich mich, ob sich denn mein Leben tatsächlich von ihrem so sehr unterschied, wie sie glaubte. Gewiss, ich malte Tag für Tag meine Bilder und war dabei mehr als nur zufrieden, aber ich hatte Mühe, sie zu verkaufen. Die Blätter und aufgespannten Leinwände stapelten sich im Atelier und Heinrichs ehemaliger Werkstatt, sie waren zu einer geradezu beängstigend großen Sammlung angewachsen.
    Als Studentin hatte ich die überreich angefüllten Ateliers der Maler bewundert. Die überquellenden Räume schienen mir ein Ausweis von Produktivität zu sein, die um die Künstler versammelten Arbeiten mussten, wie ich vermutete, eine beständige Ermunterung für sie darstellen, und ich wünschte mir, möglichst bald ein Atelier zu haben, dessen Wände und Fußboden von den eigenen Zeichnungen und Bildern bedeckt waren. Und nun besaß ich ein solches Atelier, und meine Arbeiten türmten sich darin und nahmen mir den Platz. Was ich ersehnt hatte, nun, da ich es besaß, bedrückte es mich. Die Sammlung führte mir nicht meine Produktivität vor Augen, sondern allein die Schwierigkeit, meine Bilder zu verkaufen. Ich wusste schon im Voraus, wofür ich einen Käufer finden könnte und was ich allein für mich malte.
    Ich durfte mich nicht beschweren, es ging mir nicht schlechter als vergleichbaren Kollegen. Ich hatte wie die anderen ab und zu kleine Ausstellungen, ein oder zwei im Jahr, und erhielt auch gelegentlich einen Auftrag, der mich für ein paar Wochen der finanziellen Sorgen enthob, aber nun war der Alltag in mein Leben gekommen undraubte mir den Spaß an der Arbeit. Die Aufregungen, die Spannung, das Zittern schwanden von Jahr zu Jahr mehr, jene Unruhe, die mich vor einer neuen Arbeit

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