Frau Schick macht blau
schmieren. Etwas kräftiger Schminken reicht völlig.«
»In meinem Alter offenbar nicht«, widerspricht Nelly. Ganz beklommen ist ihr angesichts der riesigen Auswahl an Liftingserum, Hautglättern und Rillenfillern für die Haut ab vierzig. Rillenfiller? Klingt nach Baumarkt. Was sie über Anti-Age-Kosmetik alles nicht weiß und nie wissen wollte! Sie braucht anscheinend eine Komplettsanierung. Am liebsten würde sie kehrtmachen und auf Frau Schicks Schönheitstipp vertrauen. »Quark tut’s auch.« Aber manchmal irrt sogar Frau Schick. Heute Morgen etwa hat sie ganz früh angerufen, um von einem Gespenst in ihrem Kleiderschrank zu berichten.
Nelly schüttelt den Kopf. Was da nur wieder hintersteckt? Egal. Momentan hat sie keine Zeit für Frau Schicks Verrücktheiten, selbst wenn oft Interessantes dabei herauskommt.
»Mama? MAMA!«
»Ja?«
Becky verdreht die Augen. »Du träumst wieder. Ich check schon mal die Make-up-Abteilung. Irgendwelche Farbwünsche in Sachen Lidschatten und Lippenstift?«
»Alles außer Rosa mit Glitter.«
»Mama! Ich bin sechzehn und heiße nicht Lillifee. Außerdem brauchst du für morgen Abend und die Kölner ›Bond Bar‹ knallige Farben. Gibt da ’ne neue Serie von Circus Glamour .«
Nelly hebt erstaunt die Brauen. »Zirkusglamour für Vertragsverhandlungen?«
Schon ist Becky weg.
Kopfschüttelnd wendet sich Nelly wieder der Abteilung Faltenpflege zu. Sie fingert ein Glitzertütchen aus einem Karton. Liftolino – Innovative Antifalten-Maske mit Sofortwirkung .
Nelly studiert das Silbertütchen, kraust zweifelnd die Stirn und mustert sich in einem Kosmetikspiegel, der am Regal klebt. Es ist ein Vergrößerungsspiegel mit integrierter Lupe. Hoppla! So wie sie darin aussieht, braucht sie wirklich dringend etwas mit Sofortwirkung.
Liftolino wandert ins Gitterkörbchen an ihrem Arm und gesellt sich zu Kapseln mit dem vielversprechenden Namen Forever-Young-Fluid mit Champagnerextrakt und zu Augenabschwellpads mit Kaviaröl.
Nelly lächelt schief. Anti-Age-Kosmetik klingt lecker, aber dekadent und irgendwie saublöd. Fassungslos entdeckt sie Schokolademasken für Gesicht und Füße!
Ihre Augen tasten sich weiter, bleiben starr vor Staunen an einer Creme namens Matrix Nutrition Atomic Logics DNA Illuminating Serum hängen. Auf dem Karton umkreisen Elektronen, die aussehen wie Ostereier auf Koks, die Doppelhelix des menschlichen Genoms.
Als Übersetzerin von Gebrauchsanleitungen für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge hat Nelly ein Herz für Technologie, aber diese Creme muss dem Hirn eines durchgeknallten Nuklearforschers entsprungen sein.
Wer braucht denn so was?
»Du zum Beispiel«, mahnt der Vergrößerungsspiegel.
Herrje, sie hat gar nicht gewusst, welche Verwüstungen die Sonne über dem Camino in ihrem Gesicht angerichtet haben muss. Auf dem Weg hierher hat sie sich für wunderbar gebräunt und für das glühende, blühende Leben gehalten. Ihr Leben ist zurzeit so unfassbar herrlich. Sie hat endlich wieder einen Job in Aussicht und ist verliebt, sooo verliebt! Nein, wie man sich täuschen kann. Also in Sachen Falten, nicht in der Liebe, und schon gar nicht in Herberger.
Ach, Herberger.
Nelly wird faltenfrei und federleicht ums Herz. So leicht, dass ihre Gedanken sie an einen Südseestrand tragen und unter Palmen absetzen. Direkt neben Herberger. Da liegen sie bei malvenfarbiger Dämmerung und atmen den süßen Duft der Kokosnuss und den strengen Salzgeruch des Meeres. Wie einem Kind fährt ihr das Glück durch den Leib. Alohaklänge kuscheln sich in ihre Ohrmuschel und Nelly kuschelt sich an Herberger.
Alohaklänge?
Moment mal, unterbricht sich Nelly streng, Alohaklänge gehören nach Hawaii, nicht nach Tahiti, und sie hat im Moment Wichtigeres zu tun, als zu kuscheln und Kokosnüsse einzuatmen, wenn sie nicht als wandelnder Offenbarungseid enden will. Für ihren neuen Job muss sie frisch und entspannt aussehen, jedenfalls frischer als in dem blöden Kosmetikspiegel vor ihrer Nase. Ach, du lieber Himmel, auf der hat sie ja auch Falten!
Die Weltraumcreme wandert ins Gitterkörbchen.
Ach, Herberger! Ob er gelegentlich ebenso sehnsüchtig an sie denkt wie sie an ihn? Wenigstens ein bisschen? Sie verlangt ja keine Alohaklänge in seinem Kopf, ein »Ach, Nelly!« als Pendant zu Ihrem »Ach, Herberger!« würde genügen. Aber leider kann sie keine Gedanken lesen, schon gar nicht über diese Entfernung. Eine E-Mail von ihm wäre mal nett, es kommt aber keine. Und
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