Frau Schick macht blau
dummerweise hat sie ihr Handy verloren oder verlegt und damit vielleicht eine SMS von Herberger.
Na, sie will nicht nörgeln. Er hat sicher schrecklich viel zu tun und immerhin via Fleurop einen kleinen Olivenbaum geschickt. Das Bäumchen könnte Liftolino allerdings mittlerweile noch besser brauchen als sie. Ganz verschrumpelt sieht es aus, fast schon tot. Dabei hat Becky es direkt ins Herz geschlossen. Sie hat das Bäumchen in ihrer Abwesenheit entgegengenommen, es in ihr Zimmer entführt und behauptet, es gründlich gegossen zu haben. Offenbar nicht gründlich genug.
Nur gut, dass Herberger dem Baum keine Liebesnachricht beigelegt hat. Becky hätte sicherlich Fragen gestellt, und die will Nelly erst beantworten, wenn Herberger zurück ist. Becky weiß nämlich noch gar nichts von seiner Existenz, und das ist gut so.
Nelly will Herberger behutsam in Beckys und ihr Leben einführen, das 14 Jahre lang eine nahezu männerfreie Zone war. Als Teenager hat Becky genug mit den schmerzlichen Achterbahnfahrten ihrer eigenen Gefühle zu tun. Sie braucht Halt und keine Mutter, die sich nach jahrelanger Liebesabstinenz seit zwei Monaten rasend und in Serie zu verlieben scheint. Erst in einen spanischen Internetbekannten und kompletten Idioten wie Javier – wovon Becky leider etwas mitbekommen hat – und dann in einen, einen … Ach … Herberger eben. Durch ihn wird Becky erleben, dass ihre geschiedenen Eltern nicht nur Beziehungen mit gespielten oder eingebildeten Gefühlen hinbekommen.
Im Vorspielen von Gefühlen war Jörg Barfeld, Beckys Vater, Weltmeister. Er spielte sie so perfekt, dass er damit nach der Scheidung im Fernsehen Karriere gemacht hat. Etwa als singender Frauenversteher an Bord des Traumschiffs und als Wäschemodell für die Edelslip-Marke TrueLov e. Jörg war tatsächlich einmal die männliche Anna Nicole Smith der Plakatwände.
Wahre Liebe, ha!, das wüsste ich aber!, zürnt Nelly kurz. An Jörgs gespielten Gefühlen und seinem Hang zu Privatvorführungen von TrueLov e in fremden Betten ist ihre Ehe gescheitert. Und – zugegeben – an ihrem Hang, sich grandiose Gefühle für selbstverliebte Taugenichtse wie Jörg oder Javier herbeizufantasieren. Nach einem seelischen Kassensturz auf dem Camino hat sie sich geschworen, sich nie mehr in Trugbildern der Liebe zu verirren. Das ist vorbei. Auch dank Herberger. Der ist unvergleichlich und für immer und ewig.
Ach, Herberger!
So, nun aber Schluss mit den mentalen Sehnsuchtswalzern!, ruft Nelly sich zur Ordnung. Ihr Gehirn muss auf Arbeitstakt umschalten. Spätestens morgen Abend muss sie vier oder fünf Jahre jünger aussehen. Nicht für Herberger, sondern für den neuen Job.
Nellys Blick gleitet nochmals prüfend zum Klebespiegel. Ein Wunder ist geschehen, freut sie sich, fast alle Falten sind verschwunden. Liebe und Herberger, das sollte man in Cremetiegel abfüllen. Die Zornesfurchen und die verknautschte Miene haben nur das Nachdenken über Faltenkiller und das Kunstlicht in ihr Gesicht gehext – zwecks Verkaufsförderung von Liftolino. Ha! Sie ist doch nicht doof. Sie weiß, wie Werbung funktioniert, sie wird schließlich demnächst selbst welche machen.
Trotzdem bleibt Liftolino im Gitterkorb. Nelly darf morgen Abend kein Risiko eingehen. Das hat ihre Freundin und Werbepsychologin Ricarda ihr direkt beim ersten Briefing eingetrichtert. Ziemlich turbulentes Briefing, vor allem nach der zweiten Flasche Prosecco. Da ging es um die ungeschminkte Wahrheit.
»Nelly, in unserer Branche wird ab 45 gnadenlos aufgerundet«, hat Ricarda ihr erklärt. »Vergiss den Mist von wegen ›Fünfzig ist die neue Vierzig‹. Deine 48 Jahre klingen bedenklich nach fünfzig. Selbst eine hübsche Frau wie du kann sich mit fünfzig …«
»Achtundvierzig.«
»Fünfzig!«
»ACHTUNDVIERZIGEINHALB.«
»Willst du Skat spielen oder den Auftrag für eine Imagekampagne der deutschen Friseurinnung?«
»Ich will den Auftrag!«
Nelly seufzt. Sie braucht ihn sogar dringend. Ihre Unabhängigkeit ist ihr doppelt wichtig, seit sie verliebt ist. Sie will mit Herberger, der erschreckend viel Geld verdient, auf keinen Fall das Märchen vom Aschenbrödel nachspielen und Becky damit ein falsches Bild vermitteln. Erstens ist sie über das Alter nun wirklich hinaus, und zweitens hat sie einen Erziehungsauftrag.
So ein Armes-Mädchen-trifft-reichen-Mann-Käse ist kein Ersatz für einen vernünftigen Beruf. Es sei denn, man heißt Barbie und strebt eine Karriere als Botoxjunkie an.
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