Frau Schick macht blau
wissenschaftlich betrachtet – ebenso.
Der Professor hat sie in die Welt von Leonardo da Vinci entführt, der es als Universalgenie und eine Art Urvater der Bionik verstanden hat, der Natur neben ihrer Schönheit auch geniale Konstruktionspläne abzuschauen.
Danach ging es im Zeitraffer weiter zu Otto Lilienthal, der seine ersten Prototypen von Flugzeugen baute, nachdem er sich die Gleittechnik von Schwalben und Raubvögeln abgeguckt hatte. Der Schweizer Ingenieur de Mestral erfand den Klettverschluss, während er hakelige Klettenfrüchte aus dem Fell seines Jagdhundes Fredor ziepte.
Engels kennt Forscher, die dank der Flugsamen der Pusteblume den Fallschirm erfanden und von der Lotusblüte lernten, wie man selbstreinigende Waschbecken und Gebäudefassaden konstruiert. Andere haben selbstschärfende Messer nach dem Vorbild von Nagerzähnen entwickelt, durch Beobachtung der Jagdwasserspinne einen nie nässenden Stoff entdeckt, der die Bademode revolutionieren wird, oder Sonnenkollektoren entwickelt, die kuscheligem Eisbärpelz nachempfunden sind, das aus wärmespeichernden Haarröhrchen über schwarzer Haut besteht.
»Und damit ist die Trickkiste der Natur längst nicht ausgeschöpft«, schwärmt der Professor.
Von Lianen hoffen Biologen in Zusammenarbeit mit Physikern und Technikern zu lernen, wie man Wasser ohne Pumpen in Wüsten transportieren kann, und von seinen Ölbienen, die statt Nektar das Blütenöl seines Gilbweiderichs sammeln, wie man Schmier- und Fettstoffe hundertprozentig tropffrei aufsaugen und ohne Kleckerei wieder abstreifen kann.
»Das würde meine Haushälterin aber sehr freuen«, wirft Frau Schick ein.
»Sie wird solch ein Tuch bald kaufen können. Erste Tests mit Polyesterfasern, die die dreidimensionale Bienenhaarstruktur nachempfinden, sind erfolgreich verlaufen«, verspricht Herr Engels.
Seine große Vision, die er mit vielen Bionikern teilt, sind allerdings mehrschichtige Riesenteppiche, die im Bienenprinzip eine Ölpest im Wisch-und-weg-Verfahren von den Meeren entfernen. Ohne Chemie, ohne Vogel-, Pinguin- und Fischsterben.
»All diese Entdeckungen beweisen«, so Engels’ Fazit, »dass es sich nicht allein aus diffus romantischen oder sentimentalen Gründen lohnt, den Artenschwund bei Tieren und Pflanzen zu stoppen. Die Natur hält die besten Erfindungen für uns bereit. Ihre Tricks funktionieren im Original allerdings immer weit besser als all unsere Kopien. Am Beispiel der Bienen können wir lernen, wie komplex alles Naturgeschehen ist und wie sinnvoll eines vom anderen abhängt.«
Eine Erkenntnis, die Frau Schick die schöne Gelegenheit gibt, Schopenhauers Anmerkungen über zertretene Käfer und Professoren, die keinen nachbauen können, ins Spiel zu bringen. Herr Engels nickt bestätigend und antwortet mit einem Gegenzitat von Morgenstern über die unfassbaren Mysterien der Natur. »Wer die Welt nicht von Kind auf gewohnt wäre, müsste über ihr den Verstand verlieren. Das Wunder eines einzigen Baumes würde ihn vernichten!«
Nein so was, lyrisch ist er auch! Und so charmant.
Herr Engels schiebt seine rechte Hand unter die linke von Frau Schick, hebt sie voll Zartgefühl an, neigt den Kopf und deutet – so wie es sich gehört – einen altmodischen Handkuss an. Ohne Lippenberührung.
»Aber Herr Professor!«
»Frau Schick, Sie haben mir einen anregenden Abend beschert. Ich hatte über all die Sorgen der vergangenen Monate vergessen, welch ein Vergnügen es sein kann, über meine Bienen zu sprechen. Es ist mir eine große Beruhigung, dass Sie die Gartenkolonie und damit ein kleines, aber einzigartiges Habitat für seltene Pflanzen, Bienen und andere Tiere erhalten werden. Anlagen wie der Waldfrieden sind heutzutage ein unschätzbares Gegengewicht zur industrialisierten Landwirtschaft. Jeder Rückzugsort, den wir für eine mannigfaltige Bienenwelt und Wildpflanzen schaffen und erhalten, ist kostbar. Sie sollten allerdings Kalle und seine Heckenschere nur bedingt auf Ihrem Grundstück einsetzen.«
Frau Schick ist entzückt, wie viel romantischen Enthusiasmus ein wenig Interesse an Bienen, Wissenschaft und Technik in diesem Mann auslösen kann. Am Tisch herrschen nunmehr ein ermutigendes Wir-Gefühl und die richtige Stimmung, um von Poesie und Landwirtschaftspolitik auf Privates wie persönliche Notlagen und Niklas überzuleiten.
»Ihre Forschungsziele sind überaus faszinierend und bei Weitem zu wichtig, um sie in unserem Wald zu verfolgen«, tastet sie sich behutsam
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