Frau Schick macht blau
von bemerkenswert abstehenden Ohren flankiert werden. Es ist für Frau Schick immer wieder ein Schock, dass ihr Paulchen diesem Kuckucksei ausgerechnet seine markanten Ohren vermacht hat.
Aber nicht meine Firma!, erwacht sie aus ihrer Erstarrung. Die nicht. Und schon gar nicht meinen Knolli-Brandy-Wald!
»Was haben Sie in meiner Kolonie verloren?«, herrscht sie Pottkämper an. Nicht laut und ungehalten, sondern so ruhig, dass man hinhören muss. Als geborene Freifrau lernt man früh, so schneidend scharf zu sprechen, dass man auf beliebige Entfernung an einem beliebigen Platz gehört wird, ohne dabei Contenance oder Beherrschung zu verlieren.
Pottkämper wankt kurz, weicht aber nicht, sondern steuert – in eine Wolke aus Rasierwasser und Empörung gehüllt – Frau Schicks Tischnische an. »Gnädige Frau, wir beschädigen Ihren Ruf als ehemals recht fähige Geschäftsführerin nur ungern, aber eine Räumungs- und Schadensersatzklage wegen unzulässiger Bauverzögerungen scheint dem Vorstand geboten, falls Sie sich nicht umgehend zurückziehen und Ihre merkwürdigen Waldbesetzer mitnehmen.«
27.
Am nächsten Morgen dringt ländlich anmutender Morgenlärm durch das auf Kipp gestellte Laubenfenster von Frau Schick. In den umliegenden Gärten werden Riegel von Schuppentüren geschoben, Blecheimer scheppern, krachend werden Gartengeräte auf Schubkarren verladen und auf Kieswege gezerrt. Doch die Idylle trügt. Sie trügt ganz fürchterlich, wie herzhafte Flüche beweisen.
Frau Schick kneift fest die Augen zu und bedauert, dass das mit Ohren unmöglich ist. Draußen beginnt kein Gartentag, sondern der Exodus. Ihr Paradies wird geschlossen, der Untergang des Knolli-Brandy-Waldes ist besiegelt.
Für den Nachmittag haben sich bereits Landvermesser angesagt, um die Bauwerksgrenzen quer durch die Gärten noch einmal zu prüfen und gemäß den Bebauungsplänen abzustecken – Bebauungspläne für ein Villenviertel, wie es der Professor prophezeit hat, und sie kann nichts dagegen tun.
Frau Schick kneift doppelt fest die Augen zu, um die trostlosen Bilder von heranrollenden Baggern, von Untergang und Kahlschlag, die in ihr emporsteigen, zu vertreiben. Hilft nichts, sie sieht sie doch. Frau Prachts Rosen haben diesen Sommer zum letzten Mal geblüht, Popeschs Johannisbeeren werden nie mehr reifen, ihre Apfelbäume, von denen jeder eine eigene Persönlichkeit hat, müssen Kettensägen weichen, und Professor Engels’ Bienen dürfen nicht mehr schwärmen. Und damit nicht genug! Niklas wird den Esel verlieren, Blogger muss aus seiner Ulme ausziehen und Kalle Unkrautex dem »Gießkännchen« Adieu sagen und seine Hawaiihemden fortan in trostlose Kaschemmen ausführen. Dabei gehört ein Kerl wie Kalle genauso unter Artenschutz wie Hosenbienen. Wie kann Pottkämper all das mit ein paar Blättern Papier zerstören? Und wie konnte sie ihre Koloniebewohner nur so enttäuschen?
Eine riesige Faust umschließt ihr Herz. Wenn sie doch einfach weiterschlafen könnte, damit dieser Tag nicht anbricht! Vom Leben blaumachen – wie es ihr Patensohn Johannes in ganz anderem Zusammenhang geraten hat – und alles vergessen möchte sie, einfach alles vergessen. Aber da macht ihr dummes, allzu verlässliches Gehirn nicht mit. Es erinnert sich detailgetreu an gestern Abend und an Pottkämpers Katasterauszug, der belegt, dass weder die Schrebergärten noch der Knolli-Brandy-Wald ihr gehören.
Der unverbesserliche Spar- und Steuerfuchs Paul hat ihren Wald auf Firmenkosten gekauft, als Firmengrundstück eintragen lassen und vor seinem Tod offensichtlich keine Zeit mehr gefunden, eine offizielle Schenkungsurkunde auf ihren Namen zu hinterlegen. Es ist bei der schönen Absicht und dem Entwurf geblieben, den Herr Engels ihr gestern Nacht gezeigt hat.
Falls es doch ein Original dazu gibt, dann hat Paulchen es so raffiniert versteckt, dass es unauffindbar ist oder – weit wahrscheinlicher – so schlecht, dass Pottkämper es in der Firma finden und in einem Aktenvernichter zu mikroskopischen Papierschnitzel zerschreddern konnte.
Der hinterhältige Grüßaugust hat Paulchens letzten Grundstückskauf schlichtweg vor ihr verheimlicht, und zwar zugunsten eines Millionendeals mit dem Kölner Baulöwen Tönnheiß, der den Wald gut brauchen kann. Im Gegenzug hat der der Schick und von Todden GmbH neben einer lächerlichen Geldsumme einen Großauftrag für lukrative Innenstadtparkhäuser und die unterirdische Waldgarage zugesagt.
Ausgerechnet Tönnheiß,
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