Frau Schick macht blau
Kürbisschwemme, störende Fremdgewächse in Hecken und Obstbaumschnitte so lautstark wie kontrovers diskutiert.
Ein Disput über winterfestes Mulchen mit Grünabfall oder sauberes Freiräumen von Gemüsebeeten droht kurz zu eskalieren. Die vom Müllcontainer zurückkehrende Frau Pracht kann die Auseinandersetzung jedoch mit einem kostenlosen Nachschlag Kartoffelsalat klären.
»Ich brauche mehr Teller, Nelly!«
Nelly schrickt hoch. Nur unwillig löst sie den Blick von ihrem wiederentdeckten Olivenbäumchen, das Frau Pracht von draußen mit hereingebracht hat. Jetzt setzt sie es behutsam vor ein Gitterfenster. Am Ende des beleuchteten Hauptwegs entdeckt sie den Schattenriss eines einsamen Wanderers, der mit gesenktem Haupt und langen Schritten in den Wald strebt.
Ach, Herberger! , durchfährt es sie. Ähnlich selbstversunken wie die zwischen Bäumen abtauchende Gestalt sah er auf dem Camino auch oft aus. Sie gönnt sich einen Moment stiller Begleitung. Alles an ihr sehnt sich nach Herberger. Wenn er nur endlich aus Tahiti zurückkehren würde! Als ihr Olivenbaum heute Nachmittag plötzlich verschwunden war, hat sie das einen Moment lang für ein schlechtes Omen gehalten. Aber jetzt ist der Baum wieder da, und Herberger wird sicher bald folgen. Ganz sicher.
»Nelly!«, mahnt ein zweites Mal Frau Pracht.
»Komme sofort«, ruft sie und schnappt sich ihr Tablett, um voll besetzte Tische frei zu räumen. Zwei Festteilnehmerinnen bieten ungefragt Unterstützung an, servieren Brote, Bier und Salate, während Nelly Geschirrberge abträgt und zur Küche schleppt, sich zwei, drei Poklapse einfängt und sich zwischen Saal und Küche auch noch die Lebensbeichte des einsamen Akkordeonspielers anhört.
»Soll ich beim Spülen aushelfen?«, fragt er schüchtern zum Dank bei ihr an und stellt sich als Vereinsvorsitzender Töller vor. »Mein Gast hat Verspätung. Bis er kommt, hätte ich Zeit.«
Nelly nimmt dankend an, geleitet den alten Mann zur Küche und bewaffnet ihn mit Gummihandschuhen, Spülbürste und Spüli. Wirklich ein toller Verein, in dem sogar der Chef mitspült. Überhaupt sind die Kleingärtner unglaublich freundlich und hilfsbereit.
In ihrer Tischnische hat Frau Schick derweil ihre liebe Not mit der Hilfsbereitschaft von Kalle Unkrautex. Er will ab morgen ihren Garten auf Vordermann bringen. Unentgeltlich.
»Zuerst nehm ich mir mal Ihre Hecken und das lästige Gestrüpp vor«, verspricht der tatendurstige, aber deutlich schwankende Kalle und führt mit imaginärer Heckenschere einen Radikal- und Wellenschnitt vor, der den Professor sichtlich verstimmt. »Aber gegen Ihren Giersch hilft nichts, außer umziehen oder wegsprengen. Salzsäure wäre natürlich auch eine Lösung.«
Der Professor räuspert sich streng, sagt aber nichts.
»Wenn Sie wirklich zum Wiederaufbau von Waldfrieden beitragen wollen, fangen Sie am besten gleich jetzt damit an«, beendet Frau Schick Kalles Gärtnervortrag. Langsam reicht es ihr.
»Was soll ich tun?«
»Bestellen Sie Blogger, alle Getränke gehen auf mich, und überwachen Sie den reibungslosen Ausschank. Am besten, Sie setzen sich direkt an die Theke und neben den Zapfhahn.«
»Wird gemacht, Chefin.« Kalle wankt entzückt davon. In der Nische kehrt wieder etwas Ruhe ein, wenn auch keine angemessen akademische Stille.
»Bitte fahren Sie fort, Herr Engels«, bittet Frau Schick.
»Langweilen Sie meine Bienen tatsächlich nicht?«, erkundigt sich der Professor und greift nach einem Piccolo, um seiner Tischdame Sekt nachzuschenken.
Frau Schick legt die flache Hand über ihr Glas. »Der würde mich nur von Ihrem Vortrag ablenken, und das wäre schade. Sie langweilen mich nämlich kein bisschen!«
Zu Frau Schicks eigenem Erstaunen ist das die reine Wahrheit. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass sie einem Vortrag über Biotechnik – kurz Bionik – und die Borsten-, Kamm- und Fiederbehaarung an Bienenbeinen einmal so gebannt folgen würde wie dereinst den Gutenachtgeschichten von der Schemutat. Also jenen, bei denen an Einschlafen nicht zu denken war. Doch genau so ist es. Professor Engels hat zwar einen bedauerlichen Hang zu esoterisch überspanntem Küchenpersonal und eine noch bedauerlichere Abneigung gegen ein Gläschen Honiglikör, dafür kann er erzählen wie kein Zweiter. Lebhaft, faszinierend, manchmal komisch, immer spannend. Kein Wunder, dass seine ehemalige Kantinenchefin den treuen Popesch verschmäht und nicht von Engels loskommt. Frau Schick geht es – rein
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