Frau Schick räumt auf
ihrem Geschmack.
Ricarda hat sich am Thema Diät festgebissen. »Ich hoffe nur, dass du nicht irgendwelchen Unsinn mit Schilddrüsenhormonen oder so machst. Im Frauenberatungszentrum hatte ich vorhin den Fall einer Krankenschwester mit Klimakteriumspanik, die das Zeug aus dem Medizinschrank klaut und wie Smarties futtert, um in Kleidergröße null einen Kerl zu halten, der einem fettleibigen Rhinozeros gleicht und sich auch seit Jahren so benimmt. Ich sag dir eins: Die Erfindung der romantischen Liebe ist die ausgeklügeltste Frauenfolter seit Ende der Hexenverbrennungen. Und weißt du, was das Schöne ist? Ich sage es dir: Jetzt erledigen wir Frauen das selbst und freiwillig.«
Nelly wendet den Blick ab und bückt sich, um ihre Jeans aufzuheben. Javier ist kein Rhinozeros, und seine Manieren sind tadellos, außerdem hungert sie nicht für ihn, sondern nach ihm. »Ich trinke viel Brennnesseltee«, lügt sie rasch und hängt die Jeans weg. »Außerdem tust du so, als wäre ich vor zwei Monaten noch wie ein Elefant durch die Gegend gestapft, dabei habe ich lediglich Kleidergröße 42 hinter mir gelassen.«
»Mit Tendenz zur 44«, berichtigt Ricarda sie. »Nicht, dass mir das nicht völlig schnuppe wäre. Aber dein Gewicht schwankt immer dann so, wenn du emotional überdrehst. Nach deiner Scheidung warst du dünn wie ein Bindfaden. Als vor ein paar Monaten der Teeniestress mit Becky losging, hast du dir nächtelang ihre alten Astrid-Lindgren-Filme reingezogen und natürlich diese fiesen Colaschnüre. Darauf folgte unvermittelt diese ›Ich-kann-nichts-essen‹-Phase, in der du offensichtlich noch immer feststeckst. In deinem Kühlschrank verwaist derzeit eine Salatgurke neben einem Quarkbecher, dessen Inhalt in die grüne Periode übergegangen ist. Und ich weiß auch, warum.« Ricarda zwinkert und trinkt einen Schluck Cava. »Du bist auf Drogen!«
»Du weißt genau, dass ich sehr selten trinke. Im Gegensatz zu dir.«
» Sí, sí« , nickt Ricarda. »Ich spreche auch nicht von Alkohol, sondern von amor, amor, amor. «
Erwischt.
»Wie kommst du denn darauf?«
Ricarda zieht flink wie ein Zauberkünstler einen Zeitungsausriss aus der Hosentasche. »Du hast dein Horoskop neben deinem Toaster vergessen.«
»Was willst du damit sagen?«, wirft Nelly ein, um wenigstens etwas sagen zu können, bevor Ricarda die Beweisführung fortsetzt.
»Ich will damit sagen: Der Text spricht für sich. Soll ich dir vorlesen, was du unterstrichen hast? Sehr romantisch: Im September wird Dornröschen nach über zehnjährigem Schlaf wieder wachgeküsst. Uranus, der große Zerstörer, verlässt das Zeichen der Fische, und alle Wogen glätten sich nach stürmischen Turbulenzen. Im Haus der Liebe übernimmt Venus das Regiment und sorgt für eine unvergessliche Romanze mit Aussicht auf ein Finale voller Leidenschaft, von dem Fische gerne träumen, doch es oft versäumen. Und so weiter und so weiter, der Rest ist noch unerträglicher. Soll ich schon mal Brautkleid und Buttercremetorte bestellen? Möchtest du lieber rosa Marzipanrosen oder ein essbares Hochzeitspaar? Ich hätte dann gern das Stück mit dem schwarz Befrackten.«
Ertappt senkt Nelly den Blick und taucht in den Schrank ab. Jetzt gibt es wohl keine Rettung mehr vor Ricardas bissigen Kommentaren.
»Tja«, fährt Ricarda fort. »Ich halte zwar nicht viel von deinem gelegentlichen Hang zur Esoterik und noch weniger von so einem Geschwafel, aber da es anscheinend geholfen hat, will ich gratulieren. Schön, dass du endlich dein wichtigstes Sexualorgan benutzt – das mit den zwei Ohren. Herzlichen Glückwunsch!«
Nelly wirbelt herum. »Ist das alles, was du zu sagen hast?«
»Nein, Nelly, du hast die richtige Wahl getroffen. Endlich wirst du vernünftig. Dieser Mann ist ein Geschenk des Himmels.«
Nelly starrt ihre Freundin fassungslos an. Ist ihre rosarote Laune wirklich so ansteckend, oder liegt es an dem Cava? Moment mal … »Du kennst ihn doch gar nicht, Ricarda.«
Ricarda schießt im Sessel vor wie eine Anakonda. »Ich habe also recht. Du bist verliebt?«
Verdammt!
Ricarda lacht. »Ich kriege dich immer.« Ein kurzer Schatten huscht über ihr Gesicht, sie kippt ihren Cava wie einen Wodka. »Er wartet im Wohnzimmer auf dich. Samt Schuhkarton. Ich hoffe, die Dinger sind dir nicht zu eng, das bräche ihm das Herz.«
»Er … Er sitzt in meinem Wohnzimmer?« Nelly schüttelt den Kopf. »Das ist vollkommen unmöglich. Er kennt noch nicht mal meine Adresse.«
9.
Pamplona
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