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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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nur vor geistreiche Gesellschaft, in der gewöhnlichen sind sie geradezu verhasst.«
    Das hat sie bei der letzten Vorstandssitzung in Sachen Testament einmal wieder deutlich gemerkt. Vor allem dem Grüßaugust hat es überhaupt nicht gefallen, dass sie die Regelung ihrer Nachfolge zugunsten dieser Reise verschoben hat. Es war ihr ein Vergnügen, ihn und diese Geschäftsführerbande stattdessen mit einem kleinen philosophischen Vortrag zu ärgern. Ein bisschen Bildung schadet denen nun wirklich nicht. Und die Schweigeminute, die sie verordnet hat, war ihr ein echtes Bedürfnis, auch wenn keiner wusste, wem genau die Ehre galt. Das geht keinen was an.
    Vor Frau Schick wird aufgeregt diskutiert.
    »Die Strecke hier ist gar nichts, ein Klacks«, verkündet Hildegard, die frustriert Verheiratete. Dürr wie eine Zaunlatte ist sie, mit einer scharfen Zunge bewaffnet und mit ebenso scharfen Mundwinkeln gestraft. Beides zeugt von zu viel Magensäure und erhöhtem Gallenfluss. »Der Pass gestern – der war wenigstens eine Herausforderung. Wobei der Sonnenschein natürlich reine Glückssache war. So leicht machen es einem die Pyrenäen selten. Wir sind da schon bei Dauerregen hoch.«
    Selbst schuld, denkt Frau Schick.
    »Aber der Abschnitt heute ist ja überhaupt nicht der Rede wert.«
    So so.
    Hildegard klingt rechtschaffen empört. Frauen wie sie machen sogar schöner Landschaft und gutem Wetter Vorwürfe.
    »Da müssten Sie erst mal den echten Camino gehen!«, erklärt sie weiter.
    Frau Schick stoppt verwirrt. Wie bitte? Sind sie hier denn auf dem falschen? Das wäre ja unerhört!
    »Meine Frau meint den nördlichen Küstenweg«, doziert Hildegards Gatte. Der Lockenkranz, der seinen kahl werdenden Schädel umringt, sieht aus, als stünden ihm ständig die Haare zu Berge. Ernst-Theodor ist ein wenig zurückhaltender als die triumphale Hildegard, schweigt aber eher aus Not als aus Tugend.
    »Auf dem Küstenweg gibt es keine Wanderzeichen mit Jakobsmuschel oder alle naselang eine Herberge«, trumpft Hildegard auf, als hätten Hermann und Martha, die glücklich Verheirateten, es gewagt, Widerspruch anzumelden. »Da ist man noch auf Kompass und Karte angewiesen und muss sich an Stahlseilen die Steilküsten entlanghangeln. Jaha! Das ist Camino pur. Kein völlig überlaufener Rentnertrimmpfad wie das hier.«
    Danke, Herr und Frau Besserwisser! Frau Schick geht verärgert weiter. Am liebsten würde sie den beiden Schlaubergern den Marsch blasen. Rentnertrimmpfad, hah!
    »Stimmt’s, Ernst-Theodor? Jetzt sag doch auch mal was!«, schnattert Hildegard munter weiter.
    »Du hast recht«, pflichtet er eilig bei.
    Und er seine Ruhe, kommentiert Frau Schick im Stillen.
    Aber dabei kann Hildegard es leider nicht bewenden lassen. »Ernst-Theodor hat nämlich Geografie unterrichtet. Oberstufe. Bis zum Abitur. Und Physik und Philosophie. Sein Spezialgebiet ist Transzendentalphilosophie.« Sie kichert, wahrscheinlich damit auch jeder mitbekommt, dass nun ein Scherz folgt. »Meinem Ernst-Theodor bleibt nichts zwischen Himmel und Erde verborgen.«
    Nur dass die beiden einem gehörig auf den Wecker gehen, findet Frau Schick und verlangsamt ihr Tempo, um dem Quartett mehr Vorsprung zu geben. Die Pilgergruppe ist bedauerlich klein. Zu klein, um einfach in ihr abzutauchen, und doch bietet sich reichlich Anlass für Zwietracht. Einer von ihnen ist Bettina, die Frau Schick in Gedanken bereits »die Beseelte« nennt. Bettina streichelt verstohlen die Bäume am Wegrand und begrüßt alles mögliche Getier wie alte Bekannte. Sie hat Frau Schick sogar aufgefordert, es ihr gleichzutun. Aber das fehlte noch! Die Eichhörnchen gucken schon jetzt ganz verstört. Selbst die Lämmergeier, die Herberger Frau Schick bei der Fahrt durch die Pyrenäen gezeigt hat, sind in Deckung gegangen, obwohl sie sicher nicht zu den Tieren gehören, die über ein Übermaß an Anerkennung oder Streicheleinheiten klagen können.
    Beim Kaffee in Roncesvalles hat Bettina der Gruppe erklärt, sie glaube an die allbelebte Natur und freue sich auf die ersten Olivenhaine, da Oliven die Energie der Liebe, der Versöhnung und des Friedens abstrahlten. Überhaupt seien Bäume seit jeher Sitz der Seele, bei den Indianern und sogar in Grimms Märchen, wo Aschenputtel bekanntlich mit einem Baum spräche, den sie aus einem Haselreis auf dem Grab der Mutter gezogen habe.
    Die hagere Hildegard hat daraufhin die Oliven aus ihrem Schinken-Bocadillo gepult und sie demonstrativ in einem

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