Frau Schick räumt auf
Miene den Umschlag, anstatt ihn lediglich mit dem Eingangsstempel zu versehen und im Postkorb abzulegen. Will er die Adressanschrift auf Fehler prüfen? Gut, dann also einmal Folter à la Finanzamt, seufzt Nelly stumm. Jedem seine Berufskrankheit.
Dieser Griesgram sieht aus wie die verhungernde Birkenfeige hinter ihm. Geschieht ihm recht, wenn er demnächst durch ein Callcenter ersetzt wird, das einen in der musikalischen Warteschleife verhungern lässt. Der Pförtner und seine Birkenfeige gehen dann gemeinsam in Rente und kompostieren auf dem Sofa mit Blick auf eine Schrankwand in Buchenimitat vor sich hin, während im Fernsehen das Traumschiff untergeht. Am besten mit Nellys Exmann Jörg an Bord. Der ist Schauspieler und hat kürzlich in einer Folge einen Gastauftritt als graumelierter Conférencier und singender Frauenversteher gehabt. Das ist Lichtjahre entfernt von seinen früheren Ambitionen, Deutschlands Antwort auf Bruno Ganz oder der neue Brandauer zu werden. Fehlt nur noch, dass Jörg im Dschungelcamp gedämpfte Känguruhoden verspeist.
Stopp, halt und ommm!, warnt sich Nelly. Das war gehässig. Vielleicht ist sie ja bloß neidisch, weil sie in einem früheren Leben Theaterdramaturgin war, dann Sitcom-Drehbücher verfasst und von einer Filmkarriere geträumt hat, letztlich aber bei Dieselmotoren und Traktorvergasern gelandet ist. Nach Beckys Geburt ist ihr das Händchen für Pointen und Lacher abhandengekommen. Jörg hielt Becky für einen Unfall, sie hielt Becky für den größten denkbaren Glücksfall. Jörg, der König aller Narzissten, ging davon aus, dass die Pflege, Ernährung und Finanzierung von Baby Becky, dem Familienglück und ihm selbst in Nellys Verantwortung fiel, während er sich seiner Schauspielkarriere widmen musste, die es damals allerdings nicht gab.
Jörg hatte eine sehr eigenwillige Definition von weiblicher Emanzipation, denn diese sollte vor allem ihm zugutekommen, und tatsächlich hat Nelly es eine Weile mit dem in den Neunzigerjahren grassierenden Superfrauensyndrom versucht: »Ich wuppe Mann, Kind, Küche und Karriere in Korsett und Stöckelschuhen!« Heute weiß sie: Das war ein ganz dummer Fehler, noch dazu ein freiwilliger.
Jörg hat seine total erschöpfte Superfrau bei der Scheidung ganz emanzipiert auf Unterhalt verklagt und zu diesem Zweck Becky und die Rolle des Hausmanns kurzfristig und per Anwalt für sich beansprucht. Damit Nelly mehr arbeiten könne. Und obwohl es ihr fast das Herz zerrissen hat, ist sie damals Ricardas Rat gefolgt, hat auf gerichtliches Gezerre verzichtet und Jörg die Babypflege auf Probe vollständig überlassen. Mit dem erwünschten Ergebnis: Sie bekam Becky zurück, nachdem Jörg drei Monate lang weiblichen Beifall für die demonstrativen Leiden eines verlassenen Vaters, für Windelwechseln in Damentoiletten und publikumswirksame Spielplatzbetreuung im Park genossen hatte. Dann dämmerte es Jörg, dass selbst ein Mann dafür kein Goldenes Bambi kassieren wird. Es sei denn, er spielt die Rolle nicht im wahren Leben, sondern in einer Kinokomödie, die sich nicht ums Windelwechseln, sondern um das unverhoffte neue Liebesglück mit einer hinreißenden Singlemama dreht.
Am Ende hat er es also vorgezogen, ohne Nellys freundliche finanzielle Unterstützung und ein Kleinkind Karriere zu machen. Ein Entschluss, der dadurch befördert wurde, dass Werbefachfrau Ricarda einen französischen Unterhosendesigner überreden konnte, Jörg zu seinem Wäschemodell zu machen. »Mr. Sexy Slip« war ein so durchschlagender Erfolg, dass Werbefilme folgten und ein halbnackter Kurzauftritt mit Gesangseinlage in einem internationalen Kinofilm. Der brachte Jörg – wenn auch nur in Deutschland – den Beinamen »kommender Hollywoodstar« ein. Das ist er nun seit dreizehn Jahren. Ohne merkliche Fortschritte in Richtung Hollywood, aber mit einer Dauerkarte für B-Promi-Partys, Vorabendserien, Musicalrollen, Gastauftritte auf dem Traumschiff und im Tatort, in Talkshowrunden und Jurorenjobs bei Castingshows.
Das alles ist für dich kein Grund, so ein Griesgram wie dieser Pförtner zu sein!, ruft Nelly sich zur Ordnung. Pech nur, dass die schlechte Laune des Pförtners ihre schlechte Laune anzieht wie Bildschirme den Staub.
Aber halt, sie hat doch gute! Und Pam-plo-na. Olé!
»Was?«, schreckt der Pförtner sie auf.
»Nichts, ich denke nur an Pamplona.«
»Das wäre ja wohl Spanien, oder? Wir sind hier aber in Düsseldorf, junge Frau.«
3.
Vom Rücksitz des Jaguars
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