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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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dem Jakobsweg … Das ist doch ein schlechter Scherz!«
    »So? Die Anzahl der Menschen, die den Camino gehen, wächst stetig. Gerade unter reiferen Zeitgenossen.«
    »Frau Schick war nie religiös, eher im Gegenteil. Sie ist eine nüchterne und sehr vernunftbetonte Pragmatikerin.«
    »Mit kleinen Aussetzern?« Herberger genoss es beinahe, Pottkämper aus der Reserve zu locken. Ob das schwafelnde Kuckucksei wohl pro Wort entlohnt wurde?
    »Genau. Kürzlich stand eine äußerst dringende Vorstandssitzung an, in der es um die äußerst komplexe Nachfolgeregelung und eine innovative und zukunftsgerichtete Umwandlung der Firmenstruktur und des geschäftsführenden Vorstands ging.«
    »Sie sprechen von Frau Schicks Testament?«
    »Eh, nun … so ungefähr. Es lagen dringliche Papiere zur Unterschrift vor. Der gesamte Vorstand war versammelt, unsere Rechtsanwälte, die wichtigsten Kreditgeber, die Notare. Ein hochoffizieller Termin, Sie verstehen … Und was macht Frau Schick?«
    Herberger hat mit den Schultern gezuckt.
    »Sie verkündet, dass sie den Jakobsweg gehen will!«
    Herberger hat bemüht ernst und, wie er hofft, ein bisschen fromm genickt. »Vielleicht will sie um göttlichen Beistand bitten, bevor sie etwas so Bedeutungsvolles wie ihr Testament unterschreibt?«
    »Köln verfügt doch nun wahrhaftig über genügend Kirchen, um einem derartigen …«, Pottkämper konnte seine Empörung nur schwer verbergen, »… einem derartigen Bedürfnis nachzukommen. Aber das war noch nicht alles! Sie hat uns gebeten, eine Schweigeminute für eine verstorbene Freundin einzulegen, und dann einen recht wirren Vortrag über Schopenhauer gehalten. Das Ganze hat den Verdacht nahegelegt, dass sie – mit Verlaub – ein wenig verrückt ist.«
    »Weil sie Schopenhauer liest?«
    »Religion und Philosophie sind selbstredend – wie soll ich sagen – interessant , aber mit der Planung und dem Bau von Parkhäusern hat beides wenig zu tun. Der Vorstand, die Banken und die Rechtsanwälte haben – vorsichtig ausgedrückt – irritiert reagiert. Von Frau Schicks geistiger Leistungsfähigkeit hängen immerhin viele Hundert Existenzen ab, verstehen Sie?«
    Ja, das hat Herberger durchaus verstanden. Genau wie die Tatsache, dass die Hauptsorge des Privatsekretärs seinem eigenen Auskommen als unterbeschäftigter und unterbelichteter Dauerlächler galt. Stirbt die alte Dame, wird es seinen Posten bei der Schick und von Todden GmbH höchstwahrscheinlich nicht mehr geben, wenn sie es in ihrem Testament nicht ausdrücklich verfügt. Oder hofft er sogar auf eine Beförderung? Wenn ja, dann sicherlich vergeblich.
    »Diesen Grüßaugust behalte ich nur meinem verstorbenen Mann zuliebe«, hat die alte Frau Schick ihm auf der langen Fahrt durch Frankreich bereits anvertraut und mit glitzernden Augen hinzugefügt: »Und um den Vorstand zu ärgern, der ständig von unproduktiven Kostenfaktoren redet. Das bin ich in deren Augen auch, aber zu ihrem Pech gehört mir der ganze Summs nun mal.«
    Es ist ein Hochgenuss, Freifrau von Todden, verheirateter Schick, zuzuhören, wenn sie ihren Sekretär und den Vorstand allmorgendlich mit wohlbedachten Hieben, straff nach hinten gezogenen Schultern und sehr geradem Rücken per Handy zur Schnecke macht. Eine Kämpferin, die dem Alter die Stirn bietet. Nur wenn sie sich unbeobachtet fühlt, meist kurz vor dem Einnicken, fällt die Maske der Disziplin für die Dauer eines Lidschlags. Dann sieht sie so verlassen und schutzbedürftig aus, dass Herberger sie trösten will. Wie das Kind, das sie einmal gewesen sein muss. Ein trotzig-tapferes kleines Mädchen, dessen Kindheit eine Wunde war und in eine nicht minder schwierige Jugend überging. Beides fand im Krieg statt und endete mit Flucht und Vertreibung. Nicht, dass sie darüber reden würde. Wolfhart hat es nachrecherchiert und herausgefunden, dass die von Toddens eine Ahnenreihe haben, die bis in die Morgendämmerung der deutschen Geschichte zurückreicht und sogar Verbindungen ins englische Königshaus aufweist. Hauchdünne, aber immerhin. Als Nachfahrin von mittelalterlichen Raufbolden und Haudraufs sind Frau Schick Wut und Kampfgeist ersichtlich näher als Tränen. Wut lässt sich aushalten und treibt voran. Damit kennt er sich aus.

4.
    Nelly vertieft ihr Lächeln. Ihr geht es schließlich gut. So blendend, dass sie Mitgefühl für den Griesgram im Glaskabuff entwickelt, der mit wichtiger Miene seine Lesebrille abnimmt, um einen Anruf entgegenzunehmen. Ihren

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