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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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habe. Beides, die Liebe und der Hass, waren ein Geschenk so groß wie das Leben selbst, denn wer ohne Leidenschaften lebt, hat nie gelebt.
    Röschen, verzeih mir, wenn Du kannst. Ich selbst konnte es nicht.
    Wenn Gott mir die Zeit lässt, will ich Dir weitere Briefe senden. Mit gleicher Post ist bereits einer nach Santiago unterwegs. Öffne ihn, sobald Du ankommst, oder wirf ihn weg, wenn es Dir unerträglich ist. Ich werde bis zuletzt an Dich denken als den Menschen, der mir gegeben hat, was mir bald genommen wird: alle Blumen und Schatten der Erde.
    Leb wohl, Röschen, und weiterhin Buen camino .
    P.S: Vielleicht magst Du über Folgendes nachdenken. Beides hat mir durch meine dunkelsten Jahre geholfen:
    »Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.«
    Und: Matthäus 7, 1–5
    Frau Schick lässt das Blatt sinken.
    Dieser unsägliche Kalenderspruch und das Bibelzitat am Ende sind der Gipfel! Eine Unverschämtheit auch, dass Letzteres nur als Vers angegeben ist. Was hat Thekla sich dabei gedacht? Kryptische Briefe nach Spanien vorauszuschicken, einfach zu sterben und ausgerechnet ihr den Schlamassel um Johannes zu vererben! Im Namen der Liebe … Was wusste die schon davon? Nicht viel, das schreibt Thekla ja selbst.
    Frau Schicks Blick streift die grüne Kugel, die neben dem Poststapel liegt. Knicker und kuriose Briefe. Sie ist sich sicher, dass zwischen beidem irgendein Zusammenhang besteht. Muss doch.
    Sie nickt grimmig. Oh ja. Und darum ist es an der Zeit, ein Wörtchen mit Bettina zu wechseln. Für Frau Schick, die gerne Kriminalgeschichten liest, steht nämlich fest, dass die gelernte Krankenschwester mit diesem Spuk zu tun haben muss. Kugeln mit Sprüchen verteilen, ihr mit beseeltem Blick ständig Hilfe anbieten und Kirchenbesuche empfehlen! Wahrscheinlich ist das eine Auftragsarbeit. Vielleicht hat Thekla diese beseelte Schwester Bettina ja in der Krebs-Rehaklinik von Bad Zwischenahn aufgegabelt, wo Thekla und der Tod vor einem halben Jahr eine kurze Atempause eingelegt haben.
    Bettina stößt im Sprechen gelegentlich an den spitzen Stein, ist also ein Nordlicht. Das würde ins Ammerland und nach Zwischenahn passen. Außerdem hat Bettina vorhin scheinheilig und selten blauäugig gefragt, ob Frau Schick Nachrichten aus Deutschland bekommen habe. Frau Schick ist Bettina im Fahrstuhl begegnet, als diese auf dem Weg zur Stadtführung und Frau Schick auf dem Weg zum allwissenden Doktor Herberger war, um ihn mit einem sofortigen Bibelkauf zu beauftragen und zu fragen, was »Ich will echten Filterkaffee« auf Spanisch heißt.
    Den hier üblichen Dampfmaschinenkaffee mag sie nicht, der gerbt einem ja den Magen, egal wie sehr Herberger dafür schwärmt. Sie mag nur gefilterten Kaffee, am liebsten mit einer Prise Natron. Auf Englisch war in dieser Hinsicht beim Zimmerservice aber nichts zu machen. Jedenfalls nicht mit dem ihrem. Dabei ist das wirklich einwandfrei. Sie hatte schließlich immer vor, im Alter nach England zu gehen, um Rosen zu züchten und Tee zu trinken. Darum hat sie sich vor vielen Jahren einen guten Sprachlehrer genommen. Einen Geschäftspartner von Paul, der sich sehr bemüht hat.
    Ja, er war ein ganz wundervoller Lehrer und hat sie einen Sommer lang nicht nur mit den Feinheiten des Oxfordakzents vertraut gemacht, sondern auch mit dem Alphabet der Leidenschaft und der körperlichen Seite der Liebe, die im Ehegeschäft mit Paul nie so recht passte.
    Ach, dieser unglaublich zartfühlende Engländer! Nach außen war er ganz der reservierte Gentleman, distinguiert wie sein herrlich blasierter Oxfordakzent, aber seine Hände sprachen eine eigene Sprache. Oh ja. Er war ja auch ein wundervoller Pianist. Bei einem Klavierabend haben sie sich kennengelernt. Mendelssohn-Bartholdy. Frau Schick war allein mit ihm da. Paul hat ihr immer gern das Kulturprogramm mit den Geschäftspartnern überlassen.
    Als sie nach dem Konzert noch durch Kölns Gassen geschlendert sind, um nach einem Weinlokal zu suchen, ist der Engländer plötzlich stehen geblieben und hat sie sehr eindringlich betrachtet. Sie wird nie vergessen, wie er sie angeschaut und gefragt hat: » How did you do the trick with the moon, little goddess?«
    Der besondere Zauber des Monds war, dass er an diesem Abend rund und riesengroß und erdnah wie selten über dem Rhein aufstieg. Ganz allein für sie beide. Dann hat der Engländer sie geküsst, und Frau Schick ging es wie dem braven Kutscher Heinrich im Froschkönig : Plötzlich

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