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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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und Herberger. Die beiden passen gut zueinander, zumindest musikalisch.
    Frau Schick bleibt unvermittelt stehen. Ob da auch Liebe im Spiel ist? Heutzutage gibt es in dieser Hinsicht schließlich nichts, was es nicht gibt. »Und wenn ein Mann einen Mann liebt, soll er ihn lieben, so lang er ihn liebt, denn ich möchte, dass es alles gibt, was es gibt«, schießt ihr eine Liedzeile von André Heller durch den Kopf. »Und wenn ein Hirte ein Lamm liebt …«, kommt auch darin vor.
    Heller ist mit all seinem Wiener Schmäh, seiner lyrischen Schwermut, seinem jüdischen Witz und seinem Talent, jedes Wort bis in den letzten Winkel seiner Bedeutung zu erkunden, ein wunderbarer Sänger. Nur wenige haben so viel Geduld mit der Sprache und so viel Respekt vor ihrer Magie. Der Heller hätte der Butzi gutgetan und ihr sicher gefallen. Und die Zeilen über die Liebe, die alles erlaubt, wenn es denn Liebe ist, auch.
    Aber nein, mit Männerliebe hat das, was zwischen Paolo und Herberger schwebt, nichts zu tun. Herberger sieht Jesus eher an, als habe er großen Respekt vor ihm und ein wenig Angst.
    Mit einem Mal lässt Frau Schicks Wut nach. Sie ändert ihre Pläne. Spätestens beim gemeinsamen Abendessen im Café Iruña wird sie Bettina ohnehin wiedersehen. Und Nelly auch. Die ist überhaupt viel wichtiger. Zum Kuckuck mit Thekla und Bettina! Am besten sie kauft jetzt erst mal ein paar Kleinigkeiten ein.
    Frau Schick passiert die Empfangshalle und tritt in eine verschwiegene Gasse. In den Arkadengängen locken adrette Lädchen, alles noch handverlesen. Die Apotheke, ein Wäschegeschäft und ein Feinkostladen scheinen direkt dem 19. Jahrhundert zu entstammen, die Ladeninhaber tragen unter gestärkten Kitteln Anzug und Krawatte. Überhaupt ist es wohltuend, dass sich die älteren Spanier noch an die Kleiderordnung halten. In schlampigen Shorts läuft keiner durch die Stadt, und nach Feierabend holt man seinen Freizeitanzug heraus und lockert allenfalls den Schlips, während die Damen hübsch geblümte Sommerkleider vorführen.
    Ach, was ist das dort gegenüber denn für ein Geschäft? Nein, wie passend! Ein Schuhladen. Schnellen Schrittes durchquert Frau Schick die Gasse. Ein Paar handgenähte Schuhe, die mitten im Fenster auf einem Podest präsentiert werden, lacht sie förmlich an. Das ist genau das Richtige für Nelly, und dreihundert Euro sind dafür auch keineswegs zu viel verlangt.
    Nimmt dieses verwirrte Mädchen doch nur lächerliche hundertfünfzig Euro! Damit kommt sie doch nicht weit, nach allem, was ihr geklaut wurde, und überhaupt. Nelly ist viel zu bescheiden und leider noch immer ganz wild darauf versessen, Spanien mit dem nächstbesten Flieger zu verlassen. Am besten, um in Düsseldorf diesem Javier in die Arme zu laufen. Dieser falsche Fuffziger klang so, als meine er es ernst mit seinem »Bis bald!« und »Ich komme nach Deutschland«.
    Das aber wird Frau Schick verhindern. Nelly ist nicht aus reinem Zufall am Rand des Jakobsweges aufgetaucht, ihres Jakobsweges, wohlgemerkt. Nelly braucht Hilfe. Und Frau Schick auch. Schließlich muss ihr irgendwer die Bibel übersetzen, die Herberger gerade besorgt und die er zweifelsohne nur auf Spanisch finden wird. Sie muss schließlich wissen, was in Matthäus Kapitel sieben, Vers eins bis fünf genau drinsteht.
    Frau Schick wirft noch einen Blick in das spiegelnde Schaufensterglas und lächelt sich zu, dann stößt sie die Ladentür auf. Wunderbar, dieses altmodische Gebimmel, da können Pamplonas Kirchen, die träge bis zur Unentschlossenheit Viertel vor acht einläuten, kaum mithalten.

21.
    Nellys Blick lässt Herberger mitten in der Bewegung erstarren. Dieser missgelaunte Samariter hat ihr gerade noch gefehlt. »Wage es ja nicht!«, funken ihre Augen, während sie sich aufrichtet und über ihre Jeans streicht.
    »Dann eben nicht«, lautet die stumme, schulterzuckende Antwort des verhinderten Kavaliers. Dann sagt er doch etwas. »Sie meinten damit vorhin doch nicht mich?«
    »Womit?«
    »Na mit: ›Diese verdammten Pilger!‹«
    Nellys Augen mustern seinen graumelierten Vollbart, eine lächerlich eckige Lesebrille Marke »Clark Kent« – der Optiker hat sicher etwas von jugendlicher Anmutung gemurmelt – und die Andeutung eines müde-verwegenen Sean-Connery-Grinsens.
    »Ganz sicher nicht«, gibt Nelly schroff zurück.
    Wie ein Pilger sieht dieser Herberger tatsächlich nicht aus. Mehr wie ein Zeit -Abonnent, arroganter Klassikfan und feinnerviger Kenner französischen

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