Frau Schick räumt auf
rumpelt ihr ein johlendes Männertrio in den Rücken. Die kennt sie doch!
Ja, das sind die bayerischen Frohsinnspilger vom Flughafen Bilbao.
»Mer hoam Sie net g’sehn«, werfen die Mittfünfziger außer Rand und Band Nelly eine Entschuldigung vor die Füße und rempeln sich grölend weiter.
Nelly fühlt sich nicht getröstet. Im Gegenteil: Jetzt ist sie also genauso unsichtbar, wie es in den Wechseljahresbroschüren geleugnet wird: »Die Menopause beginnt für viele Frauen mit seelischen Veränderungen. Doch die Angst davor, mit dem Abschied der Östrogene als Frau unsichtbar zu werden, ist unbegründet.«
Ach ja?
Ihre bayerischen Reisegefährten hetzen weder Stieren noch spiritueller Erleuchtung nach, sondern zwei schwedisch blonden Mädchen, die ebenfalls Rucksäcke tragen. Der taumelnde Gang und der glasige Blick, mit dem sie Bars, Imbissbuden und Straßenschilder streifen, macht sie als Wallfahrerinnen kenntlich, die die harte Tour gewählt haben und zu Fuß gehen. Der lautstarke Elan ihrer Verfolger weist hingegen auf deren bislang weniger kraftraubende Pilgerfahrt per Taxi hin.
»Damit kriegen wir sie!«, johlt einer und meint offenbar das Pappschild an seinem Rucksack: »Kostenlose Fußmassagen für Pilgerinnen von geprüftem Physiotherapeut.« Auch das ist eine Art, sein Sündenregister aufzufüllen. Schließlich muss der Generalablass im achthundert Kilometer entfernten Santiago de Compostela seinen Zweck erfüllen. Sie hat es geahnt. Ekelhaft. Alles ist ekelhaft. Sie auch und vor allem Pamplona. Nelly schüttelt sich.
Wenig später erreicht sie mit ebenso entschlossener wie verschlossener Miene die Plaza Mayor . Arkaden, Cafés und stolze Bürgerpaläste mit Schaubalkonen säumen die weitläufige Bühne, auf der Alt und Jung die Kunst des Flanierens vorführt. In der Mitte thront ein Musikpavillon, daneben kreist ein Karussell zum wuchtigen Klang einer Kirmesorgel. Wie die meisten Spanier lieben auch die Navarresen lautstarke Unterhaltung.
Nelly nicht. Dafür fällt ihr eine Bar ein, die zu dieser Stunde leer, düster und nicht laut sein könnte. Sie steuert einen Arkadengang an, um den wenig bekannten Rauchersalon des sehr bekannten Café Iruña zu finden. Laut einem Reiseführer, den dieser Herberger ihr aufgedrängt hat, »damit Sie nicht noch mal auf Abwege geraten«, soll es eine architektonische Legende in Jugendstil sein. Also ziemlich bis sehr alt und angestaubt. Das klingt angemessen. Wenn es stimmt, dass man so alt ist, wie man sich fühlt, nähert sich Nelly gerade ihrem hundertsten Geburtstag.
Eilig taucht sie zwischen imposanten Säulen ab und gerät ins Schleudern. Verfluchte Marmorfliesen! Für aalglatte Bodenbeläge sind die Pumps noch weniger geschaffen als für Buckelpflaster. Sie verlangsamt ihr Tempo und übt eine Kombination aus Schlurf-, Schleif- und Trippelgang. Was für ein Auftritt! Und das vor vollbesetztem Haus.
Die Terrasse des Iruña ist voll mit wild gestikulierenden Spaniern, gackernden Teenagern und sonnenbraunen Touristen. Tassen klappern, Babys brüllen. Die Hitze des Tages steht in der Luft.
Widerwillig schlängelt Nelly sich durchs Gewühl, reißt eine geschnitzte Tür mit Milchverglasung auf und flüchtet in einen mahagoniverkleideten Korridor. Der hochbetagten filzig grünen Auslegeware sind ihre Schuhe gut gewachsen. So wagt sie eine forschere Gangart in Richtung Rauchsalon.
Im trüben Licht der Milchglaslaternen wartet am Eingang Hemingway in einsamer Majestät auf Gäste und grinst hölzern. Wie auch sonst. Der ewige Macho der Weltliteratur ist in Nussbaum geschnitzt und lehnt, so lässig wie sein Holzkörper es zulässt, an einer Theke.
Beim Näherkommen meint Nelly Überheblichkeit in seinem Lächeln zu entdecken. Oder Anzüglichkeit. Oder beides. Oder ist es die schiere Selbstbegeisterung eines weiteren Sonnengotts? Nelly schiebt die Brille in die Haare und wagt ein Blickduell mit der Schnitzfigur, während die Absätze ihrer Pumps unvermittelt auf Schachmusterfliesen und einen Strauß Wanderstöcke treffen.
Das war’s. Nelly gerät ins Rutschen. Im Fallen greift sie nach der Messingreling der Bartheke. Vergeblich. Ihr rechter Schuh hängt in der Schlaufe eines Rucksackmonsters fest, der linke kämpft ein aussichtsloses Gefecht mit den Wanderstöcken, die polternd zu Boden gehen.
»Verfluchte Jakobspilger!«
In einer Art Hechtrolle wirft Nelly sich bäuchlings über einen Barhocker. Das hochbetagte Möbel scheint einen Sinn für Spaß zu haben,
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