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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Westernhotel von Disneyland und unzählige Runden »Mäuserallye«, nach denen Becky jetzt nie, nie wieder verlangen wird. Das alles hat sie verpasst – wegen plötzlich eintrudelnder Übersetzungsaufträge und drängender Abgabetermine. Der Gedanke daran schmerzt. Aber Schluss damit. Es gab auch Tage, an denen Nelly um acht Uhr morgens mit der dreijährigen Becky auf dem Arm zu Ikea gerast ist, um sie eine Stunde im Bällebad abzusetzen und beim Ein-Euro-Kaffee eine Übersetzungsarbeit abzuschließen, von der die Miete abhing. Schlechtes Gewissen inklusive. Nein, eine perfekte Mutter war Nelly nicht, und es gab genug Zeiten mit Becky, an die sie sich deshalb gern erinnert, weil sie vorbei sind, wie Ricarda zu Recht betont. Etwa die »Mama-Stinkepo-Phase« – eine Frühform der Rebellion im beginnenden Trotz- und endenden Töpfchenalter, als die Kindergärtnerin nur »Kacki-Katrin« und Ricarda »arschige Pupsitante« hießen.
    Die Phase, in der Nellys Tochter jetzt steckt, ist so etwas wie eine Wiederholung auf höchstem Niveau. Becky pubertiert und ist vorzugsweise griesgrämig und hochnäsig. Die meiste Zeit befasst sie sich mit der alterstypischen Suche nach Antworten auf die Fragen »Wie beleidige ich meine Mutter richtig?«, »Wie verwüste ich mein Zimmer in fünf Minuten?« oder »Nach wie viel Tagen unter meinem Bett wird eine angebissene Pizza so lebendig, dass man sich mit ihr unterhalten kann?« Dass Becky verkündet hat, nach den Sommerferien erst einmal bei ihrem Vater zu bleiben und auf unbestimmte Zeit eine Pause von ihrer Mutter zu brauchen, tut trotzdem höllisch weh.
    Nelly seufzt. All das hat sie vielleicht nur dem Umstand zu verdanken, dass Mr. Sexy Slip eine gigantische Penthousewohnung samt Haushälterin besitzt, die fürs Bettenmachen bezahlt wird und Becky den hübschen Hintern nachträgt. Von den B-Promi-Partys und Filmsets, die Becky an seiner Seite kennenlernen wird, ganz zu schweigen. Wenn sie Pech hat, sind damit fünfzehn Jahre Erziehungsarbeit zu Dingen wie pünktlichem Aufstehen, regelmäßigem Zähneputzen, Fleiß und einem Hauch von Ordnung für die Katz. Zumal Jörg vorführt, dass es sich ohne derartige Tugenden vergnüglicher leben lässt, wenn man nur rechtzeitig den Slip zeigt. Und am Ende hat er damit sogar recht.
    Ihr tugendhaftes Leben zwischen beharrlichem Selbstzweifel und finanzieller Verzweiflung hat Nelly flügellahm gemacht. Kein Wunder also, wenn Becky ihre ersten Flügelschläge ins Leben lieber an der Seite eines unbekümmerten Partylöwen probieren will, dessen Geld aus dem Geldautomat zu kommen scheint. In Beckys Augen dürfte Jörg der Schöne sein und sie das Biest – zumal sie dummerweise versucht hat, Becky den Umzug zu verbieten. Becky antwortete mit Krokodilstränen, lautstarkem Türenknallen und »Ich hasse, hasse, hasse dich«, und am Ende hat Nelly dann nachgegeben.
    Das ungute Gefühl versucht sie seither zu verdrängen. Denn warum bitte taucht Papa Sorglos, der bislang nur in Form überteuerter Sommerferien und Geschenke an Beckys Leben teilgenommen hat, plötzlich aus der Versenkung auf, um sich als Vollzeit-Vater zu betätigen? Da muss etwas dahinterstecken, und zwar nichts Gutes.
    Ommm, Nelly! Verdammt noch mal, ommm, lass die Schwarzmalerei! Jörg ist kein Schwerverbrecher. Nelly ruft sich zur Vernunft, doch es fällt ihr schwer, auf sich selbst zu hören, denn Beckys spontaner Umzug ist keine Abnabelung, sondern eine Amputation ohne Narkose. So wie ihre grauenhafte Scheidung vor zehn Jahren.
    Nicht dran denken, befiehlt sich Nelly, das hast du lange genug getan, und wer zu lange in den Abgrund starrt, in den starrt der Abgrund zurück. Becky geht es gut bei Jörg, ihr selbst geht es momentan besser als gut, und wahre Liebe lässt frei.
    Aber nicht Becky, bitte, bitte nicht Becky!, wehrt sich was in ihr.
    Stopp!
    Denk an Pamplona, und lass allen gedanklichen Unrat vorbeischwimmen. Das sagt ihr Yogalehrer immer. Der hat allerdings keine Kinder und ist seit acht Wochen wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben, weil sich sein Freund von ihm getrennt hat.
    »So!« Der Pförtner hat sein Telefonat beendet, setzt wieder die Lesebrille auf und wendet sich erneut Nellys Umschlag zu. »Brinkbäumer, Nelly, Lindenallee 12, Steuerbezirk drei«, schließt er endlich seine Urkundenprüfung laut ab. »Steuernummer auch angegeben. Hm, gut.« Das »gut« klingt wie: »Das können wir gerade noch so durchgehen lassen.«
    Zufrieden mit dem Vollzug seiner

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