Frau Schick räumt auf
Amtshandlung bequemt er sich zu einem Scherz: »Fehlt eigentlich nur noch Ihre Kleidergröße und Ihr Geburtsdatum.« Er wirft den Umschlag in einen Postkorb.
»März, 38«, kontert Nelly und verbreitert ihr Lächeln zu einer Kampfansage. Sie dreht sich wie eine Modekundin vor dem Spiegel in der Umkleidekabine nach allen Seiten.
»1938?«
»Also bitte! Meine Kleidergröße ist wieder eine glatte 38, und Geburtstag hatte ich im März.«
»Aber nicht den achtunddreißigsten«, sagt der Pförtner spitz.
»Nein, ich bin achtundvierzig geworden. Bald habe ich ein halbes Jahrhundert voll!«
Der Pförtner hebt zweifelnd die Braue. Offensichtlich überlegt er, ob sie ein Kompliment für ihr Aussehen will. Das liegt weit unter fünfzig, aber ha!, nicht mit ihm. »So, so … achtundvierzig. Na, ob das ein Grund zum Feiern ist? Ich hab nach meinem Fünfzigsten aufgehört.«
»Man kann jederzeit wieder damit anfangen! Das Leben ist ein Fest.« Nelly lächelt eisern.
Der Pförtner schnaubt wie das längst pensionierte NDR-Pausenwalross. »Sie rechnen wohl mit einer gigantischen Steuerrückzahlung, was?«
Nelly schüttelt lachend den Kopf. »Ich bin so gut wie pleite, mein wichtigster Auftragsgeber, die Linzer Motorenwerke, hat Konkurs angemeldet und schuldet mir Honorare für ein halbes Jahr. Ich musste meine Lebensversicherung verkaufen. War ein verdammt hartes Jahr, aber ab morgen wird alles besser.«
»Tatsächlich? Wenn man mit fünfzig in den finanziellen Sinkflug gerät, ist Schluss mit lustig. Was meinen Sie, warum ich hier gelandet bin? Ich war auch mal selbstständig.«
»Ach, irgendwie geht es immer weiter«, versichert ihm Nelly. »Ich habe zum Beispiel meinen Ehering versetzt. Jetzt macht er sich endlich bezahlt.«
»Als ob das reicht!«
»Es war ein Brillantring.« Jörg hat ihn damals auf Kredit gekauft, den sie dann zurückzahlen musste. Doppeltes Ommm und nie wieder, du Dummie! Dummie mit U.
»Dann herzlichen Glückwunsch nachträglich, aber wenn Sie wüssten, was ich an monatlichen Festkosten habe! Miete, Strom, Telefon, Auto …«
Nelly stellt auf Durchzug und den Griesgram stumm. Diese Jammeroper kennt sie. Die hat sie jahrelang selbst gespielt, bis sie gemerkt hat, dass man sich damit vor allem das eigene Leben vermiest. Wie hieß noch dieser Kalenderspruch, der wochenlang an ihrem Kühlschrank klebte? »Groll ist wie Gift zu trinken und darauf zu hoffen, dass ein anderer daran stirbt.«
Eigentlich könnte sie jetzt gehen, aber sie möchte den Crashtest bis zum Ende durchhalten.
Der Pförtner gibt in Sachen Zetern und Klagen gerade so mitreißend schön Gas: »… dazu die Fernsehgebühren, obwohl das Programm eine Zumutung ist, und diese neuen DVD-Player gehen auch alle naselang kaputt. Von wegen Geiz ist geil …«
Versonnen streicht Nelly über ihre frisch gesträhnte Pagenfrisur, genießt das Gefühl seidenweich gepflegter Haare und grinst ihre Füße an. Die werden bald in wunderhübschen Schuhen stecken. Ein eBay-Schnäppchen, das sie vorgestern Nacht im Internet ersteigert hat und das schon heute per Kurier geliefert wird. Sie hat mit dem Versanddienst einen Wunschliefertermin vereinbart. Wunschtermin, ein wunderschönes Wort. Wunderschön wie die Marc-Jacobs-Pumps in Tanzschuhoptik mit Riemchen an der Fessel. Die werden sensationell zu Ricardas St.-Emile-Kostüm passen, das sie ihr nachher mitbringen will, damit Nelly morgen bei den Auftragsverhandlungen in Pamplona eine gute Figur macht. Und nicht nur dabei.
Nellys Lächeln gefriert. Herrje, wird Ricarda ihr das Kostüm auch noch leihen wollen, nachdem sie die nackte Wahrheit über dieses Vorstellungsgespräch erfahren hat? Nelly spürt, dass sie rot wird, weil sie sich in Gedanken gerade entstatt bekleidet, um … Ach je, ein bisschen peinlich wird es vielleicht schon, weil sie ganz grässlich aus der Übung ist, aber verlernen kann man so etwas doch nicht. Ach was, viel besser, er wird sie ausziehen! Sie kann einfach darauf warten und dann … Mmh.
Stille. Eine Stille, die so laut ist, dass man sie hören kann. Ist der Pförtner fertig? Nein, er holt nur empört Luft, um einen neuen Gipfel der Empörung zu erklimmen. »Was fällt Ihnen ein? Wollen Sie mich mit derartig obszönen Geräuschen beeindrucken?«
»Oh, oh nein!«
Himmel, sie hat Harry und Sally wohl ein paar Mal zu oft gesehen! Der Pförtner anscheinend nicht, er nimmt Nellys Stöhnen persönlich. »Sie wissen hoffentlich, dass beim Verkauf von Lebensversicherungen
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