Frauen, die Geschichte machten
widerspräche.
Vor Orléans lagen 5000 Engländer. Das reichte nicht für einen kompletten Belagerungsring, aber die Engländer hatten Feldbefestigungen
und Türme errichtet und konnten die Zufuhr von Proviant und Kriegsmaterial unterbinden. Blieb der Wasserweg über die Loire.
Aber seit Wochen blies der Wind in eine ungünstige Richtung, sodass niemand den Fluss hinaufsegeln konnte. Kaum dass Johanna
mit den Entsatztruppen erschien, drehte sich der Wind, die Mannschaften konnten in die Stadt gelangen und die Garnison verstärken.
Am 29. April 1429 zog Johanna in Orléans ein und wurde begeistert empfangen. Sie diktierte einen Brief an die Engländer, der
an einen Pfeil geheftet ins englische Lager geschossen wurde: »Euch Männern aus England, die Ihr kein Recht auf das Königreich
Frankreich habt, befiehlt der König des Himmels durch mich, Johanna die Jungfrau, Eure Bastionen zu verlassen und in Euer
Land zurückzukehren.« Die Engländer schrien zurück, sie würden sich keiner Hure ergeben. Am 6. Mai stürmten die Franzosen
die Augustinerbastei, in der sich die Engländer verschanzt hatten. Einen Tag später war das Fort Tourelles an der Reihe. Dabei
wurde Johanna, in vorderster Linie stehend und unermüdlich die Soldaten anfeuernd, von einem Pfeil in die Schulter getroffen.
Weinend und jammernd sank sie zu Boden. Man löste ihr den Harnisch und stillte die Blutung mit Öl und Fett. Der französische
Befehlshaber Graf Dunois wollte den Angriff abbrechen, allein Johanna beschwor ihn, weiterzumachen. Sie schnallte sich ihre
Rüstung wieder um und ergriff das Banner. Die Truppen, eben noch müde und niedergeschlagen, schöpften neuen Mut und stürmten
wieder gegen das Bollwerk an, das am Abend fiel. Am nächsten Morgen brachen die Engländer ihre Zelte ab und verschwanden.
Artillerie und Belagerungsmaschinen ließen sie zurück.
Ein Triumph ohnegleichen für das Mädchen aus Domrémy. Als »die Jungfrau, die Orléans befreit hat«, war Johanna in aller Munde.
Dabei war die Militäraktion gar nicht ihr Werk, geplant war sie längst, und Johanna wurde auch die Führung keineswegs zugestanden,
lediglich als Mitwirkende war sie akzeptiert. Aber so vorsichtig und zaghaft wie die Militärs vorgingen, hätte es ohne sie
wohl viel länger gedauert mit dem Entsatz von Orléans – wenn er überhaupt geglückt wäre. Johanna aber riss bildlich gesprochen
das Ruder herum, |101| sie flößte den Männern Kampfgeist ein und trieb die Befehlshaber ungeduldig voran: Vorwärts nach Reims zur Krönung! Vorher
aber aufräumen mit den Engländern, die überall noch Truppen stehen hatten und Städte besetzt hielten! Die Berufsmilitärs,
noch völlig verblüfft über den wider Erwarten erfochtenen raschen Sieg, taten, was Johanna verlangte. Binnen weniger Tage
und Wochen eroberten die Franzosen eine Stellung nach der anderen zurück, manchmal genügte es, dass Johanna vor den Stadttoren
auftauchte, und der Feind packte seine Sachen. Ihm graute vor der »Hexe«.
Am 17. Juli 1429 stand Johanna neben dem Altar in der Kathedrale von Reims, das Banner in der Hand, während der Dauphin gekrönt
wurde. Die Kunde von der Jungfrau verbreitete sich in ganz Europa. Ein deutscher Geistlicher aus Speyer schrieb im selben
Monat: »Nach einem neueren Gerücht, das die Hörer stark beeindruckt, ist in Frankreich eine Sibylle als Prophetin erschienen,
die viel Aufsehen erregt und vor allem wegen ihres Lebenswandels, ihrer Sitten und ihrer Sprache geachtet wird. Das Volk sagt,
sie sei eine Heilige, habe Kriegserfahrung und könne den Ausgang der Schlachten weissagen. Nicht ohne Grund, wenn man die
menschlichen Bedingungen und Zeitumstände bedenkt, vollbringt Gott seine Wunder und enthüllt seine Offenbarungen durch das
weibliche Geschlecht, damit die Fürsten und Herren dieser Welt über sich die göttliche Macht fühlen.«
Keine sechs Monate, nachdem Johanna ihre Heimat verlassen hatte, stand sie am Ziel. Doch sie wollte mehr, die restlose Befreiung
ihres Landes. Aber nun ging alles schief. Der König und seine Ratgeber fielen in den gewohnten Trott zurück. Keine Schlachten
mehr, lieber verhandeln, hieß die Losung, und während umständlich und ohne Ergebnis verhandelt wurde, landeten die Engländer
neue Truppen und schlossen das Bündnis mit dem Burgunderherzog fester. Ein französischer Angriff auf Paris, halbherzig begonnen,
scheiterte kläglich, bei Pont-l’Evêque kassierten
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