Frauen, die Geschichte machten
stammende Begriff dafür. Der Delinquent hatte noch einmal Gelegenheit abzuschwören,
und konnte in diesem Fall mit einer geringeren Strafe bzw. dem Leben davonkommen. Völlig überraschend machte Johanna Gebrauch
davon. Sie unterbrach die Verlesung des Todesurteils und erklärte, sie wolle alles tun, was die Kirche ihr auferlege. Die
anwesenden Engländer brachen in wütendes Gebrüll aus, Steine flogen. Der vorbereitete Widerruftext wurde verlesen, Johanna
lachte hysterisch, sprach den Text nach und setzte unter das Protokoll, da sie des Schreibens nicht mächtig war, nur gerade
ihren Namen »Jehanne« und ein Kreuzzeichen.
Das Todesurteil wurde abgewandelt in lebenslange Kerkerhaft. Für den Richter Cauchon war damit die Sache erledigt, er hatte,
egal was ihm die Engländer sagten, Johannas Seele retten wollen (natürlich unter Drangabe ihres Leibes). Die Aussicht, ein
Leben hinter Gittern zuzubringen, war aber zuviel für Johanna. Zudem ordnete Cauchon wider die Gepflogenheiten keine Unterbringung
in kirchlichem Gewahrsam an, sondern verfügte die Rückführung ins Verließ von Rouen, zu den brutalen englischen Kerkermeistern.
Und, was das Schlimmste war, Johanna musste Frauenkleider anlegen.
So absurd es klingt, es war die Kleiderfrage, die letztlich über Johannas Tod entschied. Weil sie sich den Wärtern gegenüber
widerspenstig zeigte und keinen von ihnen an sich heranließ, nahm man ihr die Frauenkleider weg und warf ihr die alten Männerkleider
hin, die sie schließlich anzog. Als einer der geistlichen Herren sie so bekleidet sah, lautete das Verdikt »rückfällig«, und
es reichte für ein erneutes Todesurteil.
Auf dem Marktplatz von Rouen wurde ein Scheiterhaufen errichtet und obenauf Johanna an einen Pfahl gebunden. Zuletzt bat sie
noch um ein Kreuz. Da keines zur Hand war, brach ein englischer Soldat einen Stock in zwei Stücke und band sie zu einem Kreuz
zusammen, das er Johanna reichte. Man hörte sie »Jesus, Jesus« rufen, dann schossen die Flammen hoch und der Rauch erstickte
ihre Stimme. Als das Feuer heruntergebrannt war, sammelte man auf Geheiß der Engländer ihre Asche und streute sie in die Seine.
Die von Johanna prophezeite Befreiung Frankreichs ließ auf sich warten. Es mussten noch 18 Jahre Krieg vergehen, bis sich
die Engländer vom Festland zurückzogen. Die Hauptstadt Paris fiel 1436 an König Karl VII., und 1449 konnte er in Rouen einziehen,
der Stadt, in der Johanna ihr Martyrium erlitten hatte. Hatte er sich zu Lebzeiten wenig um ihr Schicksal gekümmert, so musste |104| er sich jetzt um ihre Rehabilitation bemühen. Schließlich hing sein eigenes Ansehen von der Frage ab, ob es eine Hexe gewesen
war, die ihm den Weg zur Krönung gebahnt hatte. Zur Wiederaufnahme von Johannas Prozess wählte man ein äußerst schlaues Verfahren,
das niemandem richtig wehtat, da die Lebenden nicht davon betroffen waren. Man schob Johannas Mutter als Klägerin vor. Isabelle
d’Arc richtete ein Gesuch an Papst Kalixt III., der seine Erlaubnis zu einem neuen Verfahren in Sachen Jeanne d’Arc gab. Die
Klage richtete sich gegen Richter Cauchon und seinen Kollegen Lemaître sowie den Inquisitor d’Estivet, allesamt inzwischen
verstorben. Es war also weniger ein Tribunal als eine Art Wahrheitskommission, die schließlich im November 1455 zur feierlichen
Eröffnung des Rehabilitationsprozesses in Paris zusammentrat. Zeugen wurden vorgeladen. Das Gericht veranstaltete auch Befragungen
in Orléans, in Rouen, sogar an Johannas Geburtsort Domrémy. Insgesamt gaben 123 Personen ihre Erlebnisse mit Johanna zu Protokoll.
Unter ihnen befanden sich auch solche, die an Johannas Untergang mitgewirkt hatten. Sie zeigten betrübliche Gedächtnislücken,
versuchten ihren Anteil an dem früheren Urteil nach Kräften herunterzuspielen und schoben alle Schuld auf die Engländer bzw.
die drei verstorbenen Gerichtsherren.
Das Urteil fiel aus wie gewünscht: Johanna, die 25 Jahre zuvor als Hexe verbrannt worden war, wurde als »gereinigt und frei
von jedem Schimpf und Makel« erklärt. Als Heilige und Nationalheldin wurde sie allerdings erst später verehrt. In Orléans
setzte man der Jungfrau ein Denkmal, im übrigen Frankreich aber wurde ihrer wenig gedacht. Erst 1636 verfasste ein Hofdichter
namens Chapelain ein Epos zu Ehren Johannas, aber berühmter als das schwülstige Werk wurde die Parodie, die Voltaire darauf
um 1730 dichtete. In der »Pucelle
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