Frauen, die Geschichte machten
die Franzosen ihre erste Niederlage nach der Siegesserie des ersten Halbjahres
1429. Am 23. Mai 1430 geriet Johanna beim Kampf um Compiègne in die Gefangenschaft der Burgunder. Ein halbes Jahr lang hielt
man sie in Haft, während die üblichen Lösegeldverhandlungen begannen. Ihr Souverän Karl VII., der Mann, für den sie alles
getan hatte, machte wenig Anstalten, sie zu befreien; viel Geld wollte er schon gar nicht investieren. Dagegen boten die Engländer
alles auf, um Johanna in die Hand zu bekommen. Für die monströse Summe von 10 000 Dukaten erhielten sie endlich den Zuschlag. Johanna wurde ins besetzte Rouen geschafft und in eine Gefängniszelle gesteckt.
Fünf Soldaten, ausgesucht harte Burschen, hielten Wache bei ihr.
Der Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon, bekam den Auftrag, gegen Johanna einen Inquisitionsprozess durchzuführen. Er berief
französische Geistliche als Mitglieder des Tribunals. Die Engländer blieben im Hintergrund, aber jeder |102| wusste: Es war ihr Prozess, sie bezahlten ihn, und sie wollten mit einer Verurteilung wegen Hexerei ihre Feindin unschädlich
machen. Ein Gerichtsschreiber brachte die Absicht des Verfahrens auf den Punkt: »Man machte ihr den Prozess, um sie zu töten,
aber nicht dem Recht entsprechend und aus Verehrung Gottes und unseres Glaubens.«
Die Richter hatten es schwer mit ihr. Es stellte sich heraus, dass Johanna Schlagfertigkeit und Witz besaß, dazu ein phänomenales
Gedächtnis, stets konnte sie präzise die Dinge benennen, nach denen man sie bereits befragt hatte. In zweierlei Punkten blieb
sie standfest. Der eine betraf ihre Männerkleidung, die damals als Affront verstanden wurde, so schlimm wie mit dem Teufel
verbündet zu sein. Dabei wusste Johanna neben der Behauptung, dass es die Stimmen ihr so aufgetragen hätten, durchaus auch
pragmatische Gründe anzuführen: In der Männergesellschaft, in der sie sich ständig bewegte, und erst recht im Gefängnis unter
Bewachung roher Wärter sei es nur vernünftig, fest verschließbare Kleidung zu tragen, und nicht Röcke, unter die jedermann
langen könnte. Der andere Punkt waren die Stimmen. An ihnen ließ Johanna keine Zweifel aufkommen. Sie sprachen nach wie vor
zu ihr. Wenn diese Botschaften nicht den Anschauungen der Kirche entsprachen, so war das nicht ihre, Johannas Sache. Es müsse
ihr vorbehalten bleiben, zu entscheiden, auf wen sie hören wolle, auf die Kirche und ihre Vertreter oder auf »ihre« Stimmen.
Es ist diese zähe Verteidigung eines Rechtes auf den eigenen Dialog mit Gott ohne die Vermittlung durch eine Amtskirche, die
in George Bernard Shaws »Heilige Johanna« (1924) noch zugespitzt wird: Für den irischen Dramatiker ist Johanna die erste Protestantin,
sie ficht gegen die bornierten Richter die Sache Martin Luthers aus, hundert Jahre vor dem deutschen Reformator. Das ist wohl
zu weit gedacht, aber es hat schon etwas Faszinierendes, zu beobachten, wie ein Bauernmädchen gegen die geballte theologische
Gelehrsamkeit ihre individuelle Spiritualität verteidigte: »Ich unterwerfe mich der Kirche, vorausgesetzt, dass sie nichts
Unmögliches zu tun von mir verlangt. Unmöglich nenne ich, dass ich widerrufe, was ich getan und gesagt habe und was ich ihn
diesem Prozess über die Erscheinungen und Offenbarungen, die mir durch Gott zuteil worden sind, erklärt habe. Nicht um alles
in der Welt werde ich sie widerrufen.«
Der Prozess dauerte zwei Monate, vom 27. März bis zum 30. Mai 1431. Zwar drangen die Engländer auf ein rasches Urteil, aber
ihre französischen Helfer bestanden darauf, dass alle Verfahrensregeln eingehalten würden, zäh verteidigten sie jeden Paragraphen
der Prozessordnung. Diese sah auch die Anwendung der Folter vor. Als man Johanna in den Raum führte, wo die Henkersknechte
mit glühenden Kohlenbecken, Schrauben, Haken und Zangen bereitstanden, blieb sie standhaft. Die Gerichtsherren verzichteten
allerdings auf den Einsatz der Folterwerkzeuge, möglicherweise auf eine Intervention der Engländer hin, |103| die ihre Feindin nicht im stillen Verließ krepieren lassen, sondern öffentlich brennen sehen wollten.
Zur Urteilsverkündung wurde Johanna auf den Friedhof der Abtei von Saint-Ouen geführt. Dort war ein Scheiterhaufen aufgerichtet
und Podeste, auf denen die Richter Platz nahmen. Das Inquisitionsverfahren sah als letzte Zeremonie den so genannten Glaubensakt
vor; Autodafé lautet der aus dem Portugiesischen
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