Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
ihrer Meinung nach vorherrschenden ‹Maskulinismus› der Dritten Republik in Frankreich eingeführt hat. 1892 veranstalteten die Französinnen einen großen Kongress, der bereits das Adjektiv «feministisch» im Titel führte, und 1896 berichtete die französische Delegierte auf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin vor einem großen Publikum darüber, wie bereitwillig die französische Presse dieses Wort «à la mode» aufgegriffen hatte. Von da breitete sich der Begriff wie ein Lauffeuer in den Frauenbewegungen der westlichen Welt aus und wurde nun teilweise im gleichen Sinn wie das Stichwort ‹Frauenbewegung› benutzt. Im Deutschen aber haftet dem Begriff bis heute der Geruch besonderer Radikalität an. Tatsächlich wurde er an der Wende zum 20. Jahrhundert von den Akteurinnen kaum zur Selbstbezeichnung, dagegen abwertend und denunzierend von den Gegnern der Frauenemanzipation gebraucht und hat erst mit der Frauenbewegung der 1970er Eingang in unsere Alltagssprache gefunden.
Doch gleichgültig, wie der Gegenstand der Beunruhigung und die Gleichberechtigungsforderungen der Frauen im öffentlichen Diskurs bezeichnet wurden, als «Frauenemanzipation» – so insbesondere um die 1848er Revolution –, als «Frauenfrage» in Parallele und Anknüpfung an die «soziale Frage» in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder als Frauenbewegung bzw. Feminismus: Es ging in dieser Geschichte seit 1789 immer um den gleichen Widerspruch, um das Versprechen oder auch nur die Denkmöglichkeit der Freiheit und Gleichheit der Frauen und zugleich um ihre Nichteinlösung oder die nur partielle, nicht hinreichende Verwirklichung von Frauenrechten. Dieser Widerspruch zwischen Befreiung und Beschränkung, zwischen der Rede von der Emanzipation und tatsächlicher Unterordnung der Frau unter männliche Dominanz, eheliche Pflichten und Gewalt, begleitet die Frauen- und Geschlechtergeschichte der Neuzeit seit der Französischen Revolution. Er kennzeichnet zugleich dieAmbivalenz bzw. den Webfehler der sich als ‹modern› bezeichnenden Gesellschaften. Mit dem immer subtiler begründeten Ausschluss der Frauen aus dem Kreis gleicher Staatsbürger wurde die Eigenschaft Geschlecht jenseits der Klassentrennung zu einer politischen Kategorie und konstitutiv für die sog. liberale Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft. Aus diesem Grund aber scheint es angemessen, die ‹modernen› Erzählungen über die Geschlechterfrage im 19. und 20. Jahrhundert – über die verschiedenen Phasen, Etiketten und «langen Wellen» der Frauenbewegung hinweg – als eine Epoche zu verstehen, die möglicherweise noch nicht abgeschlossen ist, um zu fragen, wo wir heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, stehen. Sowohl die Frauenbewegungen als soziale Bewegungen als auch die politischen Theorien des Feminismus sind in historische und politische Kontexte eingebunden bzw. gestalten diese auch mit. Daher folgt die Gliederung des Stoffes weitgehend politischen Wendepunkten. Doch trotz aller Fortschritte und Errungenschaften zeigt schließlich auch die Analyse der Gegenwart, dass der Feminismus als demokratisches Projekt noch immer nicht erledigt ist.
1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen:
Die Französische Revolution
Die Ereignisse um das Jahr 1789, vor allem die Reaktionen und die Erschütterung, die diese Ereignisse in Europa und in der Alten und Neuen Welt auslösten, kennzeichnen die Französische Revolution als Zeitenwende. Sie stellte, anders als die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit der Erklärung der Menschenrechte von 1776, in der es vorrangig um die Unabhängigkeit vom englischen König, d.h. um Volkssouveränität und die Gründung der Vereinigten Staaten ging, die Grundfesten der gesamten bisherigen Weltordnung in Frage. Sie beseitigte in nur wenigen Schritten und Verfassungsakten den Feudalismus, seine ständische Gesellschaftsstruktur und den Absolutismus des AncienRégime. Auch die Ordnung der Familie und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern wurden vom Strudel des Umsturzes und der Befreiung erfasst. Damit aber, so empfanden es die Zeitgenossen, wurde eine ganze Zivilisation bis in ihre häuslichen Fundamente erschüttert.
Die grundlegende Infragestellung der traditionellen Geschlechterbeziehungen und die veränderte, ungewohnte Rolle der Frauen waren nicht nur eine Folge revolutionärer Umwälzungen – im Sinne von betroffen sein oder mitgerissen werden. Vielmehr bestand das Neue gerade darin, dass der
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