Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
doch schnell wieder vergessen oder von den Geschichtsschreibern für verrückt erklärt worden (z.B. von J. Michelet). In der französischen Geschichte des Feminismus aber lebte sie fort, gehört sie zu den großen Leitsternen der Französinnen in der 1848er Revolution und der Feministinnen der Dritten Französischen Republik ab 1875. Ihre bis heute unstrittige Bedeutung liegt darin, dass sie die Rechtsgleichheit der Frauen als Menschenrecht am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft konsequent zu Ende dachte und unbeirrt und ohne Rücksicht auf das eigne Wohlergehen radikal einforderte. Ihre Vision von Geschlechtergerechtigkeit und Demokratie ist bis heute uneingelöst, ebenso wie ihre gelegentlich kritischen Zweifel an ihren Geschlechtsgenossinnen heute noch aktuell sind: «Frauen, wäre es nicht an der Zeit, dass auch unter uns eine Revolution stattfände? Oder sollen die Frauen auf ewig voneinander isoliert bleiben; und nur dann eine Einheit mit der Gesellschaft bilden, wenn es darum geht, ihr eigenes Geschlecht zu verleugnen oder beim anderen Mitleid zu erregen?» (Blanc 1989, 194)
Die andere Vordenkerin feministischer Ideen und Politik aus der Zeit der Französischen Revolution, die insbesondere auf Frauen im englischsprachigen Raum einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt hat, war
Mary Wollstonecraft
(1759–1797). Ihre Schrift
Ein Plädoyer für die Rechte der Frau (A Vindication of the Rights of Woman)
erschien 1792 zunächst in London. Noch in demselben Jahr folgten eine französische Übersetzung und eine zweite englische Auflage. 1793/94 erschien bereits eine deutsche Übersetzung unter dem Titel
Rettung der Rechte desWeibes mit Bemerkungen über politische und moralische Gegenstände
, herausgegeben und mit belehrenden Kommentaren versehen von dem Verleger und Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann, dem Begründer der Erziehungsanstalt Schnepfenthal.
Wollstonecraft war vorher bereits bekannt geworden mit einer ebenso kühnen wie hochfahrenden Replik auf Edmund Burkes berühmte Schrift
Betrachtungen über die Französische Revolution in Frankreich
aus dem Jahr 1790, in der sich der irische Philosoph und Staatsmann als konservativer und scharfer Gegner der Französischen Revolution profiliert und europaweit eine Kontroverse ausgelöst hatte. Mary Wollstonecraft war eine der Ersten (es folgten Thomas Paine 1791 u.a. m.), die ihm unter dem Titel
Verteidigung der Menschenrechte
(1790) heftig widersprach und sich damit in einen philosophischen Männerdiskurs zu Aufklärung und Menschenrechten einmischte, um wie Olympe de Gouges sehr schnell zu erkennen, dass die Rechte der Frauen noch viel grundsätzlicher der ‹Verteidigung› bedurften.
Anders als de Gouges’
Die Rechte der Frau
entfaltete Wollstonecrafts Verteidigungsschrift der Rechte der Frauen über nun mehr als zwei Jahrhunderte – im Zuge immer wieder neuer Anfänge und ‹Wellen› der Frauenbewegungen – eine breite Wirkung. Eine Bibliographie aus den 1970er Jahren vermerkt allein über 700 Titel zur Rezeption. Das Buch wurde sogleich zu einem Bestseller und seither in viele Sprachen übersetzt, auch wenn nach ihrem frühen Tod und der Veröffentlichung ihrer Memoiren durch ihren Ehemann, den Schriftsteller und politischen Philosophen William Godwin, die Gegner der Frauenemanzipation ihren unkonventionellen Lebenswandel zur Denunziation ihrer radikalen Ideen nutzten.
Wie alle Frauen ihrer Zeit war Mary Wollstonecraft unter schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen, auf das Selbststudium und eine Portion Selbstbehauptung angewiesen. Mit der Eröffnung einer koedukativen Privatschule als 24-Jährige sammelte sie pädagogische Erfahrungen und fing an zu schreiben. Für ihre Schrift
Gedanken über die Erziehung von Töchtern, mit Überlegungen zu weiblichem Verhalten in denwichtigen Pflichten des Lebens
(1786) fand sie erstaunlich schnell in Samuel Johnson einen Verleger und Förderer, auch für ihren ersten Roman
Mary, a Fiction
(1788), und geriet auf diese Weise in London in den Kreis radikaler Philosophen, zu denen u.a. Thomas Paine, William Godwin, der Schweizer Maler Heinrich Füssli sowie die Herausgeber der literarischen und wissenschaftlichen Zeitschrift
Analytical Review
gehörten. Nachdem sie im Selbststudium Französisch, Italienisch und Deutsch gelernt hatte, konnte sie die Werke der Aufklärung in der Originalsprache lesen und wurde eine gefragte Übersetzerin und zugleich Redakteurin der Zeitschrift mit vielfachen
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