Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt.»
Die Erklärung der Olympe de Gouges war Teil einer längeren Broschüre unter dem Titel
Die Rechte der Frau
. Nach einem Brief an die Königin, die sie um Mithilfe bat, «dem Aufschwung der Rechte der Frau Gewicht zu verleihen», sowie der bereits erwähnten Vorrede, die mit der Frage eröffnet wird: «Mann, bist Du fähig, gerecht zu sein?», folgt die «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin». Dem schließt sich der Entwurf eines Gesellschaftsvertrages an, der sich als Vertrag «zwischen Mann und Frau» wie ein zivilrechtlicher Partner- und Ehevertrag liest, den sie jedoch als Staatsvertrag und notwendigen Bestandteil der Verfassung verstanden wissen will. Damit hat sie hellsichtig die systematische Bruchstelle der bürgerlich-liberalen Rechtsordnungen der Neuzeit zwischen privatem und öffentlichem Recht aufgezeigt, die mit einer Platzanweisung an die Frauen korrespondiert: Der Einschluss in die Privatsphäre mit Hilfe des Ehe- und Familienrechts, in der der Ehemann alle Gewalt und Entscheidungsbefugnis hatte, legitimierte gleichzeitig den Ausschluss der Frauen aus der politischen Öffentlichkeit. Bis zu den Rechtsreformen der 1960er und 70er Jahre bildete diese Geschlechterordnung die Grundlage aller rechtsstaatlichen Verfassungen der westlichen Welt, gleichgültig, ob sie sich auf ihre republikanische, liberale oder sozialdemokratische Tradition stützten.
Wegweisend für den neuzeitlichen Feminismus wurde Olympede Gouges’ Schrift
Die Rechte der Frau
vor allem aber durch die Manifestation der Frauenrechte als Menschenrechte. Mit der ausdrücklichen Einbeziehung der Frauen in den Geltungsanspruch der Menschenrechte stellte sie sich auf den Boden einer allgemeinen Rechtsordnung für Männer und Frauen und nahm die Freiheits- und Gleichheitsversprechen beim Wort. Das zeigt sich darin, dass sie in ihrem Text ebenfalls in 17 Artikeln dem Wortlaut der allgemeinen
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
von 1789 folgt, jedoch mit anscheinend geringfügigen, aber im Blick auf Frauen wesentlichen Umformulierungen, Ergänzungen und Korrekturen. Sie benennt die entscheidenden Forderungen nach Anerkennung der Frauen als Gleichberechtigte und gleichermaßen Verpflichtete in Staat und Gesellschaft (lehnt deshalb Sonderrechte oder sog. Rechtswohltaten für Frauen Art. 7 und 9 ab) und begründet die Notwendigkeit ihrer Teilhabe am politischen Prozess der Selbstbestimmung und Selbst-Gesetzgebung, z.B. mit dem Zusatz in Artikel 16: «Die Verfassung ist null und nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, die die Nation darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.» Beharrlich buchstabiert sie die «natürlichen und unveräußerlichen Rechte
von Frau und
Mann» aus, wo im sog. allgemeinen Text von «Menschenrechten», französisch «droits de l’homme», die Rede ist (Art. 2). Gerade auch in den sperrigen, anscheinend für eine Verfassung unpassenden Einzelheiten benennt sie spezifische Unrechtserfahrungen der Frauen. So plädiert sie z.B. in Artikel 11 zur Gedanken- und Meinungsfreiheit für das Recht der Frau, den Vater ihrer nicht ehelichen Kinder benennen und gerichtlich belangen zu können, und weist damit auf eine elementare Not der von Männern betrogenen und verlassenen Frauen hin. In dem Entwurf eines Gesellschaftsvertrags bietet sie «ein unübertreffliches Mittel» an, Elend, Unbildung und Abhängigkeit der Frauen zu beheben. Unverzichtbar sei die Teilhabe der Frauen an gemeinsamem Vermögen, soll heißen, die Eigentumsrechte der Frauen und die gemeinsame Sorge und Verantwortlichkeit der Väter an ihren auch außerhalb einer Ehe geborenen Kindern (vgl. Burmeister 1999, 168f., Gerhard 1990, 49f.).
Als de Gouges dieses für die Verfassungsgeschichte einmalige Rechtsdokument veröffentlichte, war sie bereits eine bekannte Literatin, die schon vor 1789 in der Pariser Gesellschaft, bei Hofe und in oppositionellen Kreisen als «femme galante» von strahlender Schönheit Aufsehen erregt und sich durch zahlreiche Theaterstücke, Romane und politische sowie sozialkritische Streitschriften einen Namen gemacht hatte. Ihr gesamtes Werk, mehr als 130 Titel, die sie zwischen 1788 und 1793 wiederholt in mehreren Bänden herausgab, waren politische Interventionen und vom Stil der Zeit geprägte Tendenzliteratur. Gleich in ihrem ersten Theaterstück aus dem Jahr 1784, dem Drama
Zamore et Mirza
, war sie entschieden für die Aufhebung
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