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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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drehte langsam am Lenkrad. Die Knicklenkung zwischen den beiden Starrachsen schwenkte die Front, so dass die Scheinwerfer das Gelände bestrichen. Den Flüchtenden erfassten sie nicht mehr. Alles, was sie beleuchteten, waren die Trümmer von gut und gern dreißig Metern umgeworfener Anstaltsmauer.
    Ejeijei, wenn das der Werner sieht, dachte ich. Dann erst dämmerte mir Stück für Stück, dass ich mich gerade beinahe von einer fünf Tonnen schweren Baumaschine hatte überfahren lassen. Für ein Stück Mauer. Nach einem Weilchen voll berechtigter Sorgen um meine geistige Gesundheit tat ich endlich das, was ich gleich zu Beginn hätte tun sollen. Ich rief die Bullen.
     
    2
     
    Ich wollte Scuzzi gerade aus dem Bett schmeißen, als mein Diensthandy schrillte. Frau Dr. Marx ließ mich zum Rapport bestellen.
    Eine Menge Aspekte des Nachtwächter-Berufes hatte ich mir deutlich anders vorgestellt. >Ruhige Kugel Schieben< und >Tagsüber schlafen< waren nur zwei der von der Realität eingeholten Illusionen. Um meinen Hals endgültig zum Schwellen zu bringen, konnte ich dann noch geschlagene zehn Minuten vor ihrem Schreibtisch warten, bis Frau Dr. endlich hereingerollt kam.
    »Na, da haben Sie sich ja gleich auf Ihrer ersten Schicht nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert«, resümierte sie, nachdem ich ihr einen denkbar knappen Abriss des nächtlichen Vorfalls gegeben hatte. Es ist schwer, auf so eine Bemerkung etwas zu erwidern, das nicht nach winseliger Rechtfertigung klingt. Also versprach ich einfach nur, in den kommenden Nächten nichts unversucht zu lassen, mein Leben für die höheren Ziele der Elenor-Nathmann-Stiftung zu opfern. Damit knallte ich die Tür.
     
    Scuzzi saß inzwischen unter dem Kirschbaum an einem kleinen Tisch und frühstückte. Brot, Brötchen, Marmelade, Wurst, Käse, Ei.
    »Die Kantine hier ist gar nicht schlecht«, meinte er, hassenswert ausgeschlafen und ekelhaft zufrieden darüber, wenn nicht umgekehrt. »Nur der Kaffee ist ein bisschen dünn.«
    »Wie bist du an die Sachen gekommen?«, fragte ich und wand ihm die Kanne aus der Hand. »Ich hab gesagt, es ist für dich.«
    Pennt in meinem Bett, mampft mein Frühstück, dachte ich und wollte mir eine Tasse eingießen, doch nichts kam. Leer, die Kanne. Und trägt meine Klamotten, fiel mir auf. Fehlte eigentlich nur, dass er meine Freundin bumste, wenn ich denn eine gehabt hätte. Irgendwas, sagte mir eine innere Stimme, läuft hier gewaltig aus dem Ruder, doch wusste ich im Moment nicht, wie gegenzusteuern, und fühlte mich eh zu schlapp dafür. Also nahm ich die leere Kanne und stapfte rüber zur Kantine.
     
    >Kaffee ein bisschen dünn<, und sonst hatte er nichts zu vermelden, dieser offenbar mit Blindheit geschlagene Drogen-Kastrat?
    >Johanna< stand auf ihrem Namensschild. Sie trug ihr weißblondes Haar kurz, sehr kurz, dabei aber erstaunlicherweise lang genug für einen Scheitel und eine Welle, dazu eine klassische Sonnenbrille, so was wie aus einem Schwarz-Weiß-Film mit Grace Kelly. »Kristof«, begrüßte sie mich, staunte mich an wie einen lange angekündigten Prominenten und nahm mir mit einer grazilen Bewegung die Kanne ab. »Unser Don Quijote der Baumaschinen braucht aber eine Menge Koffein.« Und sie lächelte schmal und bescheiden, fast schon schüchtern.
    »Eh, Moment mal, ich war vor ihm dran«, beschwerte sich ein stämmiger Maurer neben mir.
    »Die erste Kanne hat sich mein Freund Pierfrancesco reingeschraubt«, erklärte ich Johannas himmelblau bekittelter Kehrseite mit den sachten und doch straffen Kurven.
    »Dein … Freund?«, fragte sie und zeigte mir ihr Profil für einen flüchtig fragenden Blick aus dem Augenwinkel. Als ob es sie wirklich interessierte. Oder amüsierte. »Kumpel«, sagte ich mit maskulin-heterosexueller Festigkeit. »Und nicht etwa Sexualpartner.«
    »Das will hier doch keiner wissen«, meckerte der Maurer angewidert. »Ich warte auf meine Brötchen, Mädchen.«
    »Na«, sagte sie zu mir, während der Kaffee aus der Maschine in die Kanne prötschelte, »da bin ich ja beruhigt.« Wenn sie lächelte, und sie lächelte gern, bildeten sich an den beiden Enden ihrer Oberlippe winzige Grübchen, was ihr zusammen mit den ganz leicht lückenhaften, auffallend kleinen, auffallend spitzen Zähnen etwas von einem irreführend niedlichen, nachtaktiven Raubtier verlieh. Einem klauenbewehrten Wesen von überraschendem Temperament, dem man sich nur mit Vorsicht und am besten von hinten nähern sollte … Ich schloss kurz die

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