Freakshow
sah an mir herunter. »Es ist eh zu warm für die Jacke«, stellte ich fest und zog sie aus. »Zieh sie wieder an«, forderte Scuzzi nach nur einem Blick.
Ich verlor ein wenig die Geduld mit ihm. »Was hast du jetzt wieder?«
»Mit dieser Naht an der Hose und diesem Hemd mit halbem Arm siehst du aus wie ein Affenwärter im Zoo.«
»Das kurzärmelige Hemd ist nun einmal Teil der Sommeruniform.«
»Lässt einen den Winter herbeisehnen.«
Scuzzi konnte mich mal. War wahrscheinlich nur neidisch. Krawatte ordentlich geknotet, Mützenschirm tief in die Augen gezogen, feste Schuhe fest geschnürt, wog ich mich beim Gehen leicht in den Schultern. Der Scanner in seinem Halter saß mir auf der Hüfte wie eine Wumme in ihrem Hülster. Taschenlampe, Handy und Generalschlüssel vervollständigten die Ausrüstung, auch wenn ich gern zusätzlich noch einen Schlagstock gewirbelt hätte. Oder eine Pumpgun auf der Schulter getragen.
Meine Tour führte erst mal durchs Village. Im Westen verdunkelten die allabendlichen Gewitter den Himmel, doch noch war es trocken, und alle Welt schien auf den Beinen zu sein. Oder auf den Hintern, saßen die meisten doch vor ihren Behausungen und sonnten sich in der martialischen Ausstrahlung des neuen Wachmanns. Jovial grüßte ich mal nach rechts, mal nach links. Ich war müde, und, wie so oft, ein wenig albern dabei. Wenn ich zu irgendetwas überhaupt keine Lust hatte, dann dazu, mir eine weitere Nacht um die Ohren zu schlagen, doch war dieser Job hier alles, was mich noch von der Obdachlosigkeit trennte, und das begriffen zu haben bot einen Ansporn, der seinesgleichen suchte. Also ging ich meine Runden, scannte meine Streifen, grüßte meine Schutzbefohlenen, wachte über die Nacht und hatte nebenher eine Menge Zeit, mein Leben zu betrachten und den Weg, den es nahm. Gegen zwei am Morgen war ich so durch die Hecke, dass ich mir eine Glocke herbeisehnte, um sie jede volle Stunde zu schwenken und >… und alles ist ruhig< zu rufen. Als irgendwo auf der Baustelle ein Motor ansprang. Und zwei Scheinwerfer aufleuchteten. Und sich eine Baumaschine in Bewegung setzte. Ein Radlader, ein Riesenbiest obendrein. Mit einem Ruck war ich wach.
Steck einen Mann in eine Uniform und Übertrag ihm eine Verantwortung und du kannst dabei zusehen, wie er sich in null Komma nichts in einen pompösen Vollidioten verwandelt.
Ohne auch nur einen Gedanken an mögliche Risiken zu verschwenden, stürmte ich auf die Baustelle und stellte mich dem Radlader in den Weg. Der Diesel brummte hochtourig, die Hydraulik heulte, die große, mit stählernen Zähnen bewehrte Schaufel wippte bei jeder Unebenheit, die die Maschine unter ihre Stollenreifen nahm, während der Fahrer, praktisch unsichtbar hinter den beiden Scheinwerferkegeln, voll auf dem Gas blieb. Jeder Mensch bei Verstand hätte sich jetzt schleunigst in Sicherheit gebracht, doch wir Uniformierten sind da etwas anders gestrickt. Anstelle einer völlig normalen Panik spürte ich ein Aufwallen selbstgerechter Empörung. Dies war meine Baustelle, verdammt noch mal, mein Verantwortungsbereich, und ich würde nicht zulassen, dass …
Erst im letzten Moment gewannen die gescheiteren meiner Instinkte die Oberhand, packten mich am Hals und rissen mich aus dem Weg des Ungetüms. Doch kaum waren die großen Räder vorbeigerumpelt, war ich auch schon wieder auf den Füßen und keuchte dem Radlader durch die Staubwolken hinterher. Denn wer immer am Steuer saß, war dabei, sich mit Vollgas selbst in eine Falle zu bugsieren: Die Ausfahrt der Baustelle lag in genau entgegengesetzter Richtung. Jeden Moment mussten die Bremslichter aufleuchten, weil dem Fahrer klar wurde, dass er geradewegs auf eine viereinhalb Meter hohe Mauer zusteuerte und es links einen Sandberg hinauf und rechts in die Baugrube hinabging, haha.
Doch die Bremslichter blieben dunkel. Weil dem Fahrer schon die ganze Zeit klar war, worauf er zuhielt, wie ich begriff, zu den Geräuschen berstenden Mauerwerks. Die Schaufel des Radladers wurde beim Aufprall auf die Mauer kurz und gewaltsam hochgedrückt, kam dann knirschend wieder herunter, und das Ungetüm stand, ruhig brummend im Leerlauf. Ich hechtete aus vollem Lauf nach dem Haltegriff neben der Fahrertür, zog mich die drei Leitersprossen hoch, riss die Tür auf und warf mich ins Innere. Ins Leere, wie sich herausstellte, niemand mehr an Bord, der Fahrer längst durch die Tür auf der anderen Seite getürmt. Schweratmend ließ ich mich in den Sitz fallen,
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