Freakshow
dran, ein echter Polier braucht einen Bauch.«
»Sach dattma meine Olle«, knurrte er und richtete missmutig seinen Gürtel. Dann warf er einen längeren Blick auf mich. »Nachtwächter«, sagte er schließlich und schüttelte verständnislos den Kopf. »Objektschützer«, korrigierte ich ihn geduldig. »Egal«, wischte er meinen Einwand beiseite. »Tatsache ist, in der Uniform siehste aus wie einer, der im Zoo die Kacke aufkratzt. Hab eh nie kapiert, wieso du aufm Bau die Brocken geschmissen hast.«
»Wenn ich nur eine Sekunde drüber nachdenke, Werner, dann verstehe ich das selbst nicht.«
»Mein Reden. Und jetzt kuck dich ma im Spiegel: Läufst rum wie ‘n Affenwärter.«
»Ich soll mit darauf achten, dass hier kein Baumaterial mehr wegkommt«, versuchte ich dem Gespräch eine etwas, tja, ergebnisorientiertere Richtung zu geben. »Ha, da haste dir aber was vorgenommen. Da drüben, gleich hinter dem Wäldchen, ist eine Siedlung. Voll mit Siedlern. Die sind allesamt permanent am An- oder am Umbauen. Und wenn das um Material geht, da kriegen die nach Feierabend alle den Greiftrieb. Von dem, wattie hier obendrein noch kaputt kloppen, will ich gar nicht erst anfangen. Die Leute wollen diesen Knast für Irre nicht, Kristof, und mein Verständnis hamse.«
»Das heißt, du hältst die Zerstörungen für Sabotage.«
»Klar. Die versuchen es auf allen Ebenen. Da, kuck’s dir an …« Er verwies auf die Crew, die begonnen hatte, den Abrissbagger aufzuladen, obwohl das alte Anstaltsgebäude noch zur Hälfte stand.
»Als neuestes hamse uns den Denkmalschutz auf ‘n Hals gehetzt. Die arbeiten mit allen Tricks. >Historisch bedeutendes Kellergewölbe<, mein Huf, Kristof. ’n Haufen Bruchsteine mit Lehm und Kuhmist verschmiert, bogenförmig wie alles aus der Zeit, weilse noch keinen Beton hatten für gerade Decken. Sowatt bau ich dir in ‘ner Woche, doch die Wichtigtuer vom Amt erklären es für bedeutend, und deswegen können wir nicht weiter abreißen, und wenn wir nicht weiter abreißen, können wir logischerweise auch kein neues Gebäude an derselben Stelle hochziehen, doch das schert die Büroheinis natürlich nicht. Denkmalschutz, Kristof, das ist mal ’ne Behörde, mit der du es nicht zu tun kriegen willst.«
»Und was macht ihr jetzt?«
»Bis das geklärt ist, ziehen wir erst mal die Außenmauer um das Grundstück. Viereinhalb Meter noch, um die Irren drin zu halten.«
»Wie lange braucht ihr dafür?«
»Einmal ums ganze Klinikgelände? Zwei Monate, wennse uns nicht wieder die Steine klauen.«
»Na, dafür wird ich schon sorgen.« Werner blickte skeptisch. »Du kannst auch nicht überall auf einmal sein«, meinte er mit einer ausladenden Geste über das Areal von Village und zukünftiger Forensik.
»Sonst noch was, außer Ziegelsteinen, das hier verschwunden ist?«
»Sonst noch was? Kristof - alles.« Werner begann an seinen Fingern abzuzählen. »Dämmung. Folien. Zement. Moniereisen. Stürze. Werkzeug? Müsse dir tags am Bein binden und nachts mit im Bett nehmen. Selbst Sand habense weggekarrt, mehrere Kubik. Kristof, wer klaut Sand! Siehste da drüben die Kellerfenster?« Er deutete auf eine Reihe Fenster am Fuß eines größtenteils fertiggestellten Nebengebäudes. »Gibt es gar nicht, das Maß, so lang und so schmal wie die sind. Mussten wir extra anfertigen lassen, inklusive der Beschläge. Der Architekt ist Förderpreisträger, und du weißt ja, wie die sind.« Werner ließ kurz einen Zeigefinger um seine rechte Schläfe kreisen. »Und, soll ich dir was sagen, Kristof? Jetzt kann ich hingehen und drei Stück nachbestellen. Weg! Über Nacht! Drei Stück! Hast du ‘ne Ahnung, was das extra kostet, Fenster aus ’ner Sonderserie nachfertigen zu lassen?« Ich schüttelte den Kopf.
»Und Kristof, soll ich dir noch was sagen? All dieser Krempel ist nicht weiter von hier weggekommen als einen Kilometer im Umkreis.«
Wir ließen unsere Blicke über den Kilometer Umkreis schweifen, und mir fiel wieder der tote Baum auf.
»Die Krähen scheinen mächtig Spaß an ihrem Baum zu haben«, sagte ich.
Werner nickte finster. »Heißt hier nur der Galgenbaum. Wo der steht, hamse früher Verbrecher aufgeknüpft. Speziell Flusspiraten. Dann konnten ihre Kollegen vom Wasser aus zukucken, wie die Krähen denen die Augen aushackten. Manchmal kommt es einem so vor, als ob die Viecher nur darauf warteten, dass es wieder losgeht.«
»Ich warne Sie, Kryszinski«, hatte Menden mir im Krankenhaus noch mit auf den
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