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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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gewesen, wenn ich das auch gewusst hätte. So aber hatte ich nur die Adresse im Gedächtnis gespeichert, >Johanna-von-Orleans-Allee 181, Duisburg< ohne die geringste Vorstellung, durch welchen der sechsundvierzig Stadtteile sie sich wohl schlängelte.
    Noch ein Vorteil für Honka. Er konnte sich vom Navi leiten lassen, während ich mich auf eine irgendwo unterm Beifahrersitz vermutete Karte stützen und dabei auch noch einen Vorsprung herausfahren musste. Als Resultat fuhr ich wie ein Blöder, erst mal in Richtung Autobahnkreuz Kaiserberg, und ging währenddessen meine kunterbunte Sammlung von Straßenkarten durch, bis ich nach Gelsenkirchen, Bottrop, Castrop-Rauxel, Mülheim, noch mal Gelsenkirchen, Essen, Stuttgart (?) endlich den Stadtplan von Duisburg in der Hand hatte. An der nächsten roten Ampel rupfte ich ihn auf und fuhr das Straßenregister mit dem Finger ab, ohne Erfolg. An der, wie immer in Mülheim, zuverlässig gleich darauffolgenden wiederum roten Ampel versuchte ich es erneut. Und gründlich. Lass sie hupen, dachte ich, bis ich mich vergewissert hatte, dass es im gesamten Duisburger Straßenregister keinen mit >Johanna< beginnenden Straßennamen gab.
    So etwas kann passieren, dachte ich und bremste mich mit heulenden Reifen in die erstbeste Tankstelle, wenn die Straßenkarte sich schon in dem Auto befunden hat, als man es kaufte, und das mittlerweile bald ein Vierteljahrhundert her ist.
    Der Tankstellenpächter meckerte hinter mir her, doch Falk-Pläne konnte ich schon immer nur aufklappen, aber nicht wieder zusammenfalten, und um es heute noch mal in Ruhe zu versuchen, fehlte mir einfach die Zeit. Dann müsste ich die Karte eben kaufen, bölkte er, doch dafür fehlten mir das Geld und die Notwendigkeit. Denn ich kannte die Johanna-von-Orleans-Allee, war mir gerade klar geworden. Erst gestern war ich sie entlanggefahren, mit ihren jungen Platanen links und rechts, mitten hinein in die Jacobus-von-Molay-Siedlung.
    Das Stahltor schepperte leicht, als ich zwischen seinen Pfosten hindurchstach. Dann ging ich schrittweise vom Gas, zählte mich die Hausnummern entlang. Bei 179 war Schluss. Ich jaulte einmal, zweimal um den Wendekreis, doch es blieb dabei: Die 179, über der Tür der zur Kapelle gehörenden Sakristei, war die höchste der ungeraden Hausnummern der gesamten Siedlung. Dann stand ich auf der Bremse, setzte ein Stück zurück. Links von der Kapelle zweigte ein Schotterweg ab. Ein Privatweg, Durchfahrt verboten, las und ignorierte ich, versprühte Schotter und wirbelte Staub auf, beschleunigte, wie mir auffiel, geradewegs auf eine Rauchwolke zu.
    Manche Gehöfte haben etwas ganzjährig Klammes, Düsteres an sich, das sie wie auf links gedrehte Keller wirken lässt. Der Hof mit der Hausnummer 181 besaß obendrein auch noch etwas ausgesprochen Muffiges, wie ein Kartoffelkeller mit vergammeltem Inhalt. Einen fröhlicheren Ort hatte ich schon länger nicht mehr besucht. Eingesunkene Dächer, schief hängende Tore und Türen, blinde Fenster, rostige, teilzerlegte, aufgegebene Gerätschaften überall. Sämtliche Gebäude, die Ställe wie das langgezogene Wohnhaus, waren bis auf Hüfthöhe grünlich verfärbt, als ob die Mauern sich allmählich mit der Gülle vollsogen, in der das ganze Gelände schwamm.
    Aus einem der Ställe drang nach Agonie klingendes Muhen, als ich ausstieg. Die gesamte Idylle wurde verschattet von einer riesigen, sich in der drückend schwülen Luft wie ein Atompilz ausbreitenden gelbbraunen Rauchwolke.
    Sie stand über einem schwelenden Misthaufen, den eine Vogelscheuche von einem Traktor-Anhänger herunter weiter beschickte.
    Requisite, erinnerte ich mich, um den aufkeimenden Wunsch nach einem Vollgasstart, einer Handbremswende und fluchtartigem Verschwinden klein zu halten. Honka, erinnerte ich mich und trat an den Hänger. Die Vogelscheuche erwies sich als Mann mittleren Alters in einem zerfledderten, wieder mal braunen Overall und Gummistiefeln, um die ich ihn, mit meinen Basketballtretern im bald knöcheltiefen Huftierauswurf, recht intensiv beneidete.
    »Ich komme von Hugo Laurentz«, behauptete ich. »Ich soll was aus der Requisite abholen.« Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, sprang der Kerl von seinem Hänger und begann, in dem schwelenden Haufen herumzustochern, was die Qualmbildung eindrucksvoll förderte.
    »Dauert auch nicht lang«, sagte ich und ließ meine Apartmentschlüssel klingeln, als ob es sich um die zur Requisite handelte, von der ich noch

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