Freakshow
er heiser.
»Was nicht gewusst?«
»Als du gesagt hast, ich müsste mich unter allen Umständen als dich ausgeben.«
Ich verstand nicht. »Was nicht gewusst?«, wiederholte ich deshalb.
Scuzzi zog langsam und vorsichtig seine Linke unter der Achsel hervor. Sie zitterte.
»Das«, sagte er und hielt mir die Hand hin.
»Oha«, sagte ich. Der Mittelfinger sah gar nicht gut aus.
Aber echt nicht. Eine Ahnung beschlich mich, gespeist aus Erinnerungen.
»Ich komme von meiner letzten Runde nach Hause, und da sitzt dieser Kerl hier am Tisch. In Hut und einem bodenlangen Mantel, Kristof.«
»Oha«, sagte ich, meine Ahnung schon so gut wie bestätigt. Honka, verflucht. Claude Honka trägt ständig und überall einen beinahe bodenlangen schwarzen Staubmantel und dazu einen Hut… Einen Hut aus einer Ära, als Autofahrer noch keine Gurte kannten und Motorradfahrer über Helme lachten, einer Ära, als Leinwandhelden Kette rauchten und Schriftsteller für ihren Alkoholismus bewundert wurden, kurz, einen Hut aus einer Ära, als Männer noch vor ihrer Zeit starben und betrauert wurden, anstatt lange nach ihrer Zeit für Ewigkeiten in Pflegeheimen vor sich hinzusabbern, Tag für Tag aufs neue verflucht von ihren Erben.
»Du kennst ihn?« Scuzzis Augen wurden schmal vor Misstrauen.
»Möglich«, antwortete ich. »Erzähl weiter.« Natürlich wusste ich, wie Scuzzis Story jetzt weiterging. Doch wenn ich das preisgab, wäre er endgültig davon überzeugt, dass ich ihn vorgeschickt hatte, und das stimmte einfach nicht. Ich schuldete niemandem Geld - stopp. Ich schuldete niemandem genug Geld, um ein Engagement Claude Honkas zu rechtfertigen. Doch darum ging es auch gar nicht, wie sich gleich herausstellte.
»Ich komm also zur Tür rein«, sagte Scuzzi und verstaute seine Linke wieder sachte unter der Achsel, »der Kerl sieht mich an und fragt: >Kristof Kryszinski?< Ich denke an deine Worte und antworte: >Ja, wieso?< Der Kerl steht auf, kommt auf mich zu, starrt mich aus diesen kalten grünen Augen an und knurrt: >Du bist nicht Kryszinskic.< Und was mache ich Idiot? Ich widerspreche.« Scuzzi lachte unfroh. »Und weißt du, was der Kerl daraufhin sagt? Willst du es wissen?« Seine Stimme wurde recht schrill, und ich nickte schweigend und, wie ich hoffte, beruhigend.
»Er sagt: >Na gut.< Na gut, Kristof!« Scuzzi lachte hoch und kippelig, beugte sich dann nach vorn und erbrach sich geschmeidig in den Eimer.
»Wir müssen sofort ins Krankenhaus«, entschied ich, half Scuzzi vom Tisch, führte ihn zum Auto, setzte ihn rein und schloss seine Tür. Dann hechtete ich über die Haube, warf mich in meinen Sitz und kickte den Motor ins Leben.
Wenn auf einen Knochenbruch Erbrechen folgt, ist irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung.
»Sie sind heute aber spät dran«, meinte Schwester Rebekka in der Notaufnahme mit vorwurfsvollem Blick auf ihre Armbanduhr. »Dr. Korthner hat sich schon gefragt, wo Sie bleiben.« Und sie schenkte mir einen kessen Blick aus braunen Augen, bevor sie Scuzzi recht freundlich den Weg wies.
Die Sache mit dem Mittelfinger ist einer von Honkas Partytricks, wenn man so will. Er schnappt sich deine Hand, bricht dir mit einem einzigen Daumendruck das dritte Fingerglied. Sehr spektakulär, unglaublich schmerzhaft. Doch damit nicht genug: Anschließend zieht er den Finger in die Länge und packt die Bruchstelle mit einer Kneifzange. Es sieht tatsächlich so aus, als würde er den Finger abkneifen. >Nächstes Mal<, sagt er dann, öffnet die Zange, lässt den Finger los und geht. Ich habe noch nie gehört, dass er ein nächstes Mal hätte auftauchen müssen.
»Aber was hat er gewollt?«, hatte ich Scuzzi auf dem Weg ins Krankenhaus gefragt.
»Er hat gesagt, ich - also du - sollst den Namen >Bugatti< aus deinem Gedächtnis löschen.«
Oha.
Die Frage, ob mir mein Hund einen Finger wert wäre, kreuzte kurz den Pfad meiner Gedanken. Dann die, ob ich näher dran war, Yoginda Khan zu finden oder Laurentz’ Bugatti. Gleich nah, oder gleich fern, musste hier die Antwort lauten, war aber in gewissem Sinne eh akademisch. Selbst wenn ich Yoginda schon im Auto hätte, unterwegs nach Luxemburg, würde es aller Erfahrung nach Tage dauern, den Behörden die Prämie aus dem Kreuz zu leiern. Mit Moltke von der Versicherung hatte ich dagegen eine Abschlagszahlung bei Präsentation des Wagens vereinbart. Eine feiste Abschlagszahlung. In bar.
Also. War das Auto einmal gefunden, gäbe es eigentlich auch keinen Grund mehr für
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