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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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erfahren musste, wo genau sie sich befand.
    »Haben Sie die Schilder nicht gesehen?« Seine Stimme war harsch, gepresst, ihr Ausdruck mühsam beherrscht. »Doch«, sagte ich.
    »Sie können von Glück sagen, dass die Frau mit dem Hund unterwegs ist. Sonst hätten Sie den schon an der Gurgel.«
    »Ein bisschen Glück gehört dazu«, stellte ich fest. Es waren kaum Flammen zu sehen, nur Qualm, und trotzdem ging von dem Haufen eine infernalische Hitze aus.
    »Fünf Minütchen«, insistierte ich freundlich, »und ich bin schon wieder unterwegs.«
    Abrupt fuhr er zu mir herum. Sein rechtes Auge blickte stramm zur Seite, doch die drei Zinken seiner Mistgabel sahen mir direkt ins Gesicht.
    »Sagen Sie Laurentz, sobald er seine Schulden bezahlt hat, kann er seinen Krempel abholen. Eher nicht.«
    »Mach ich«, versicherte ich. »Doch dürfte ich vielleicht mal eben schnell einen Blick auf die Sachen werfen? Wir vermissen ein sehr teures, fahrbares Kamerastativ, so ein Riesending auf Schienen. Wenn sich das hier in der Requisite findet, bin ich mir sicher, dass ich Herrn Laurentz sehr schnell dazu überreden kann, seine Schulden zu begleichen.«
    Na komm, dachte ich, runter damit. Ist doch so ein schöner Köder.
    Abwartend sah ich ihn an. Er war dünn, geradezu ausgemergelt, mit eingefallenen Wangen und lose flappender, schuppiger Haut über einem scheinbar nur noch aus Knochen, Knorpel und Sehnen bestehenden Gerippe. Dabei wirkte er keineswegs schlapp, eher im Gegenteil: Eine manische Energie ging von ihm aus, strahlte von ihm ab wie die Hitze von dem qualmenden Misthaufen. »Nein«, entschied er schroff und nahm seine Tätigkeit des Stocherns wieder auf.
    »Das enttäuscht mich jetzt ein bisschen«, sagte ich. So nah, so nah, so nah. Wie viel, dachte ich düster und sah mich verstohlen um, wie viel kann denn noch schiefgehen? Mein Blick blieb am nahen Ende des Wohnhauses hängen, und erst nach einem kleinen, verwirrten Moment wurde mir klar, warum. »Schicker Anbau«, sagte ich. Okay, das war etwas schmeichelhaft, wenn nicht dreist gelogen. Da war nichts Schickes auszumachen. Es handelte sich vielmehr um eine krude hochgezogene Verlängerung des bestehenden Gebäudes, mit einem Flachdach aus Beton, das Mauerwerk noch unverputzt, die schiessscharten-schmalen Fenster umquollen von Bauschaumwülsten. Wenn es irgendetwas ähnlich sah, dann einem Bunker. Doch es war unverkennbar neu, wesentlich neuer als der Rest des Hofes. »Vor allem die Fenster«, fuhr ich fort. »Eigenwillige Form.« Ohne jeden noch so winzigen Zweifel waren das die Kellerfenster, für die Polier Werner hatte teuren Ersatz ordern müssen. »Selbst entworfen?« Solche Bemerkungen fallen in die Kategorie >sanfter Druck<.
    Ich wollte, ich musste einen Blick in die verdammte Requisite werfen, jetzt, wo ich wusste, dass sie sich hier irgendwo auf dem Gehöft befand, und zwar unverzüglich, bevor Honka meiner habhaft wurde. Manchmal vergrößert ein schlechtes Gewissen die Auskunftsfreude der Leute, insbesondere wenn sie sich davon einen Themenwechsel erhoffen. Nicht so hier. Der Bauer rammte seine Mistgabel in den Boden und fuhr zu mir herum. »Jetzt weiß ich, wer Sie sind!«, stieß er hervor. »Sie sind der Clown, der da drüben in der Anstalt als Nachtwächter arbeitet.«
    »Objektschützer«, korrigierte ich ihn milde. Mit einem Satz war er bei seinem Trecker, griff unter den Sitz und drehte sich wieder zu mir, eine Schrotflinte in der Hand.
    »Die Mistgabel reicht vollkommen, um mich einzuschüchtern«, versicherte ich.
    Er hörte nicht zu, sondern knickte den Lauf vom Kolben und begann in seiner Hosentasche zu kramen. »Wir sind die Ärzte«, sagte er, halb an mich gerichtet, halb an sich selbst, wie zur Ermutigung, »die Chirurgen, die das Kranke aus dem gesunden Leib unserer Gesellschaft herausschneiden müssen. Damit der Rest leben kann.«
    Ich gab jeden Gedanken an die Requisite auf, fühlte mich plötzlich übermannt von Fernweh und wandte mich zum Gehen.
    Er stopfte eine Schrotpatrone in den Lauf und ließ die Büchse zuschnacken.
    Mit aller aufzubietenden Nonchalance schlenderte ich zu meinem Wagen.
    »Glauben Sie mir«, schrie er mir hinterher, »solange wir atmen, solange noch Blut durch unsere Adern fließt, solange wir noch in der Lage sind, unseren Gebeten Gehör zu verschaffen und den Willen der Herrn geschehen zu machen, solange wird dieses Hotel für Perverse nicht entstehen.«
    Ich nickte verstehend und drehte ihm den Rücken zu. Defensive

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