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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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das nächste Sirenengejaule an, und mir blieb nichts, als zum Auto zurückzurennen und Gas zu geben. Und ich wusste, sie lachte. Na, zumindest hatte ich Spirititolus Handy. Auch wenn es mich einige Überwindung gekostet hatte, es an mich zu bringen. Ich startete den Motor, stieß die Fahrertür noch mal auf, schubste das verfluchte Ding unter meinen linken Hinterreifen, gab Vollgas und ließ die Kupplung schnackein.
     
    Geld. Nur Geld konnte meinen Hund noch retten. Auf dem Männerklo des Duisburger Hauptbahnhofs leerte ich den halben Seifenspender über meine rechte Hand.
    Geld. Ich brauchte Geld, und sei es nur, um mir einen letzten Rest von Selbstachtung zu erhalten. In der marmorglatten Ödnis des Busbahnhofs lehnte ich mich in eine Ecke neben einem Würstchenstand und lauerte. Und lauerte.
    Anderswo mag ein neuer Sommermorgen mit Vogelgezwitscher angekündigt werden, hier waren es die ersten Busse, die angegrummelt, die ersten S-Bahnen, die angequietscht, die ersten Pendler, die angeschlurft kamen. Ansonsten passierte recht wenig. Bis ein Porsche Cayenne am Bordstein hielt und ihn ausspie, meinen Boy, meinen kleinen pakistanischen Stricher.
    Er sah nicht zurück zum Auto, er sah sich nicht um, sondern ging schnurstracks zum Ostausgang, querte die Straße und die Straßenbahngleise und stellte sich an die Haltestelle der aus Mülheim kommenden Linie 901.
    Ich rannte zu meinem - natürlich - auf der anderen Seite des Bahnhofs geparkten Wagen, startete, jagte die Busspur entlang zurück und kam gerade noch rechtzeitig, um die Straßenbahn Linie 901 Richtung Duisburg - Marxloh unter Tage verschwinden zu sehen. Ja, Scheiße.
    Für jemanden wie mich, der für gewöhnlich schon am Fahrkartenautomaten scheitert, ist der Öffentliche Personennahverkehr in weiten Teilen Terra Incognita. Ich hatte, musste ich mir eingestehen, nicht die geringste Ahnung, wo die Bahn nach Marxloh wohl wieder das Licht des Tages erblicken würde, deshalb fuhr ich erst mal drauflos, ebenfalls Richtung Marxloh, und irgendwann verschmolzen Schienennetz und Straße dann auch tatsächlich wieder miteinander. Die 901 tauchte vor mir auf, und ich folgte ihr in gemächlichem Abstand durch den allmählich aufdimmenden Morgen und einen Duisburger Ortsteil nach dem anderen. An Haltestellen robbte ich mich ein wenig näher heran, musste mich allerdings bis zur Endstation gedulden, bevor der käufliche Knabe endlich ausstieg. Augenblicklich war ich aus dem Wagen und folgte ihm auf leisen Sohlen.
    Er ging, ohne sich umzudrehen, einfach nur zielorientiert und schnurstracks die Straße runter, bog um eine Ecke, ging eine weitere Straße entlang, offensichtlich vertraut mit der Nachbarschaft, und verschwand schließlich in einer durch ein graues, viergeschossiges Haus hindurchführenden Toreinfahrt.
    Ich beschleunigte meine Schritte, rannte die letzten Meter.
    Trotzdem war, als ich eintraf, kein Flurlicht mehr an, weder hinter der rechts von dem Torbogen der Einfahrt abgehenden Haustür noch hinter der linken. Neben beiden Türen fanden sich Klingelschilder mit jeweils zehn Knöpfen. Nicht alle waren beschriftet, die Beschrifteten nicht alle leserlich, die Leserlichen teilweise unaussprechbar. Und alle vollkommen nichtssagend, für mich. Entnervt sah ich mich noch einmal nach allen Seiten um. Gleich ein halbes Dutzend überquellende Müllcontainer stanken vor sich hin. Die Einfahrt führte auf einen ausladenden Garagenhof. Privatgelände, warnte ein Schild, Durchgang nur für Mieter. Vorn auf der Straßenseite schloss sich links eine Kneipe mit von innen weißgetünchten Fenstern an, rechts eine Heißmangel. Das Schild >In Kürze Neueröffnung< an der Kneipentür hatte schon weit mehr als einen Sommer gesehen, die Heißmangel gegenüber wirkte dagegen trotz staubiger Scheiben intakt, hatte aber, bei näherer Betrachtung, die Preise noch in D-Mark ausgeschrieben. Und das war’s.
    Ich ging zurück zum Wagen, setzte mich rein, fummelte den Schlüssel ins Schloss, brachte es aber irgendwie nicht über mich zu starten. Kurz, ganz kurz nur lehnte ich die Stirn gegen das Lenkrad.
    Schrilles Straßenbahnklingeln schreckte mich hoch. Ich hatte auf den Schienen geparkt.
     
    4
     
    Scuzzi war leichenblass, als ich reinkam. Leichenblass und immer noch in Uniform. Er saß auf dem Küchentisch, vor seinen Füssen einen Eimer, hielt die linke Hand unter die rechte Achsel geklemmt und sah mich aus großen Augen an.
    »Sag mir, dass du das nicht gewusst hast«, flüsterte

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