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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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allmählich machte sich noch eine Etage höher die Einsicht breit, dass alles Ringen sinnlos war, vergebliche Mühe. Kurz bevor mein Wille brach wie eine morsche Planke, kurz vor der Aufgabe, dem endgültigen Sich-Fallenlassen, riss es noch eine gewaltige Ejakulation aus mir heraus, einen letzten, überwältigenden Orgasmus. Na, immerhin das, dachte ich, und hörte Johanna applaudieren, leiser und leiser und leiser.
     
    5
     
    Es war die Kälte, die mich weckte. Sie biss mir in die Haut wie tausend Nattern und ließ meine Zähne rappeln und meine Glieder schlottern. Zur selben Zeit war ich paradoxerweise von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet.
    Ich schlug die Augen auf, sah nichts als gleißendes blaues Licht, versuchte meine Glieder zu strecken und scheiterte komplett, auf eine unabdingbare, undisputable, den ganzen Organismus mit augenblicklicher, klaustrophobischer Panik überschwemmende Art. Es war eng, es war beklemmend, grausam eng, ich lag auf der Seite in einer erzwungenen Fötus-Haltung, es war kalt, schneidend kalt, und ich schwitzte. Ich versuchte, ruhig zu atmen, dann versuchte ich, überhaupt zu atmen, doch obwohl es gelang, war die Luft dick, so dick, so träge, dass man nie genug davon in die Lungen bekam, egal wie sehr man sich auch bemühte. Schneller und schneller ging mein Atem, und trotzdem war es nie genug, nie genug … Ich war drauf und dran, zu ersticken. Die Luft, der Sauerstoff in meinem engen Verlies ging zu Ende, rapide zu Ende, vor allem, wenn ich meine Panik nicht in den Griff bekam.
    Sieh dich um!, befahl ich mir. Hell genug war’s ja. Blau. Ich war umgeben von blauem, glattem Plastik. Hör dich um!, befahl ich. Stille. Es war still wie auf dem Grund eines Sees. Still wie in einem Grab. Neue Panik schüttelte mich, erwies sich als fast unmöglich niederzuringen. Eiskalter Schweiß lief mir über den Rücken in die Augen.
    Du erstickst, Kristof. Außer, du tust das Richtige. Finde es. Taste um dich.
    Plastik, glattes, hier und da von Frost, von Reif, von rauem, körnigem Eis bedeckte Oberflächen, überall um mich herum. Nahtlos, selbst in den Ecken, bis auf eine dünne Gummilippe um den oberen Rand. Und mit dem Anspringen einer brummend pulsierenden Kältepumpe direkt hinter mir wurde endgültig klar, dass ich in einer Tiefkühltruhe lag.
    Mühsam drehte ich mich auf schlotternde Knie und Ellenbogen, drückte meine Schultern unter den Deckel, stemmte mich hoch. Nichts tat sich. Nichts! Jetzt war es an der Zeit, der Panik die Fesseln zu lösen, sie von der Kette zu lassen. Und mit der Kraft des Wahnsinns bekam ich den Deckel bewegt, bekam ihn weit genug aufgestemmt, dass etwas warme, süße Luft hereinströmen konnte. Ich trank sie in langen Zügen, bis ich dem Gewicht auf meinen Schultern nachgeben musste. Keuchend legte ich eine Pause ein, Wille und Gedanken komplett auf ein Entkommen ausgerichtet. Der Deckel war nicht verschraubt oder sonst wie verschlossen, sondern nur mit irgendetwas beschwert. Außerdem wusste ich jetzt, auf welcher Seite die Scharniere saßen.
    Ich rückte so weit es ging zur anderen Seite, biss die Zähne zusammen, stemmte mich hoch, warme Luft kam mir entgegen, ich schrie vor Anstrengung und schaffte es, meinen rechten Arm durch den Spalt zu zwängen. Jetzt saß mir das ganze Gewicht auf dem Oberarmknochen, doch die Muskeln blieben noch so eben beweglich. Ich tastete nach oben und fühlte Gummi. Raues, profiliertes Gummi. Autoreifen. Winterräder, ich war mir fast sicher. Meine Finger krallten sich von allein ins Profil, mein Trizeps streckte langsam, schmerzhaft den Arm, und der Reifenstapel bewegte sich ein winziges Stück. Noch mal … Noch mal … Noch mal. Nach einer halben Ewigkeit hörte ich die Räder rumpelnd zu Boden gehen. Zwei weitere Reifenstapel später ließ sich der Deckel endlich öffnen, und ich stand. Wacklig, zittrig, hinfällig, kalt bis auf die Knochen, aber ich stand. Und betrachtete in ungläubigem, nur allmählich weichendem Staunen die kleine, halbeiförmige Webcam, die neben dem winzigen LED-Scheinwerfer unter eine Ecke des Deckels der Kühltruhe geklebt war. Drahtlos, die Kamera. Angebracht, um mein Ableben, mein Ersticken zu dokumentieren. Ohne dass man anschließend die Tötungsabsicht würde nachweisen können. Smart. Ich blickte mich um. Das Licht der Dioden reichte nicht, die Grenzen des Raums aufzuzeigen, doch er fühlte sich groß an. Links von mir waren die Schemen einer Küchenzeile auszumachen, halb dahinter eine

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