freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Abschluß des Falles noch mit eigenen Händen erwürgen
kann. Aber solange wir nicht wissen, was passiert ist, versuchen wir alle bei Laune zu halten, sonst fangen sie schon in zwei
Tagen an, uns ins Kreuzfeuer zu nehmen.«
Giampieri zeigte ihm die Titelblätter der Gazetten: Der Tod des Schiedsrichters füllte ganze Seiten. Die Terroranschläge im
Mittleren Osten waren ebenso in den Hintergrund gerückt wie die aktuellen Entwicklungen einer potentiellen Regierungskrise.
»Es gibt da viele interessante Informationen über ihn und sein Wirkungsfeld als Schiedsrichter«, sagte der Vize, »ich habe
dir einige Artikel rausgelegt.«
Sie machten sich an die Arbeit und tauschten erst einmal die persönlichen Eindrücke aus. Nach einer ersten Rekonstruktion
waren der Samstag und der Sonntag für den |35| Schiedsrichter absolut normal verlaufen, bis zur Halbzeitpause des Spiels. Ferretti hatte sich am Samstag gegen sechzehn Uhr
dreißig von seiner Frau und seinem achtjährigen Sohn verabschiedet und war mit dem Auto aus seinem Wohnort Turin losgefahren.
Und zwar in Begleitung seines Mitarbeiters Adelchi. Sie waren gegen neunzehn Uhr in Genua im Hotel eingetroffen, einem Fünf-Sterne-Luxus-Hotel
im Herzen der Stadt. Sie zogen sich um und gingen, gemeinsam mit dem vierten Mann und dem Schiedsrichterbetreuer (einem Offiziellen
der Heimmannschaft) zum Essen, und zwar ins teuerste Restaurant der Stadt. Nach einem Spaziergang kehrten sie auf die Zimmer
zurück, laut Adelchi gegen elf, halb zwölf. Herr Ferretti wirkte ausgeglichen wie immer, wenn man von der verständlichen Anspannung
wegen des anstehenden Matchs absah: Es handelte sich um ein wichtiges Spiel, Rebuffos Mannschaft mußte gewinnen, um einen
Punkt Vorsprung auf den Tabellenzweiten zu halten und damit für die Vorentscheidung im Titelkampf zu sorgen. Aber auch die
Gastgeber brauchten die Punkte, für sie ging es um einen UEFA-Cup-Platz. Sonntag morgen gegen neun fuhr der Schiedsrichter
noch einmal allein mit dem Wagen weg. Er wolle sich das Meer ansehen, hatte er zum Portier gesagt und gefragt, wie er am besten
nach Nervi komme. Kurz vor zwölf kehrte er zurück, aß eine halbe Portion Pasta und ein Stück Kuchen, dann fuhr er, gemeinsam
mit den Linienrichtern, in aller Ruhe per Taxi zum Stadion. Die letzte, die mit ihm sprach, war seine Ehefrau, kurz bevor
er zum Stadion aufbrach.
Giampieri hatte diese Angaben von den beteiligten Personen eingeholt, und sie schienen einander in keinem Punkt zu widersprechen.
Dann hatte er sie von einigen Beamten gegenchecken lassen; dazu wurden die Ortswechsel des Schiedsrichters mit den jeweiligen
Zeitangaben abgeglichen, Kellner, Hotelportiers usw. befragt.
|36| »Die Brieftasche hat nichts hergegeben?« fragte Giampieri.
Der Kommissar hatte sich das Herzstück der Beute, die Brieftasche des Opfers, allein zur Brust genommen, was seinen Mitarbeiter
sichtlich verärgert hatte: Dies gehörte zu den untergeordneten Kontrollarbeiten und fiel daher in Giampieris Kompetenzbereich.
Aber die Brieftasche gab auch Aufschluß über Ferrettis Persönlichkeit, und deshalb hatte Marco Luciani selbst die erste Überprüfung
vorgenommen. »Ach ja«, sagte er, als ob es ihm erst in diesem Moment wieder einfiele, »nichts Besonderes, das übliche Zeug:
ein paar Euro, Ausweise, Mitgliedskarten, Kreditkarten, Fotos von Frau und Kind. Ich habe hier die Liste, ich lasse alles
fotokopieren, und dann geben wir es der Witwe zurück. Und das Mobiltelefon? Gibt es da Neuigkeiten?«
»Nein, das Signal wurde nicht geortet. Es hat sich aber bestätigt, daß er das Handy weder zu Hause noch im Hotel gelassen
hat. Und auch nicht beim Hausmeister. Er trug es wahrscheinlich bei sich, aber die Linienrichter erinnern sich nicht, es gesehen
zu haben. Wenn es in der Umkleide war, hat es jemand mitgenommen. Ich habe schon mal alle Anträge für den Staatsanwalt vorbereitet,
für die Verbindungsübersichten. Ich bringe sie dir mit in den Konferenzraum.« Er ließ ihm eine Kopie der jüngsten Aussagen
da und verließ das Büro.
Kaum war er allein, holte Marco Luciani die Brieftasche des Schiedsrichters aus der Schublade und schüttete den Inhalt auf
den Schreibtisch. Neben den Sachen, die er gegenüber Giampieri erwähnt hatte, lagen da eine Kinokarte für das »Odeon«, der
Kassenbon einer Bar, einer von IKEA und einer von einem Obst-und-Gemüse-Geschäft. Außerdem die Quittung einer Wäscherei und
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