freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
zeigte, schien Gundri tatsächlich über so etwas wie magische Kräfte zu verfügen, denn sie kam nach weniger als einer Stunde nicht mit seinen alten Kleidern zurück, sondern mit denen, die sie mitgenommen hatte, und wie waren sauber gewaschen und trocken genug, um sie anziehen zu können, ohne dass er sich allzu unwohl darin fühlte.
Thor kleidete sich an, kaum dass sie wieder gegangen war, und verließ sein Zimmer, um nach Lifthrasil zu sehen. Die meiste Zeit, die er seit dem Tag ihrer Geburt wach gewesen war, hatte er bei seiner Tochter verbracht, meistens nur, indem er neben ihr saß und sie einfach ansah und … glücklich dabei war. Und nichts anderes tat er auch jetzt, für die nächsten zwei oder auch drei Stunden.
Thor war sich vollkommen darüber im Klaren, wie närrisch er sich benahm; genauso albern und lächerlich wie manch anderer frisch gebackener Vater, über den Urd und er sich in ihrer Zeit in Midgard lustig gemacht hatten. Jetzt konnte er diese Männer verstehen. Es war unlogisch, albern und kindisch, aber es war einfach so: Er war zufrieden, neben diesem winzigen hilflosen Etwas zu sitzen und es anzusehen, und solange er es tat, war das alles, was er brauchte.
Irgendwann kam eine von Lifthrasils Kinderfrauen, von denen es gleich mehrere zu geben schien, und nahm das Kind aus dem Korb, um es zu seiner Mutter zu bringen. Natürlich wusste er, dass es richtig war. Lifthrasil hatte Hunger und musste versorgt werden, und wer konnte das besser tun als ihre Mutter? Aber Urd duldete es nicht, dass er dabei war, wenn sie sie säugte – als ob es auch nur einen Fingerbreit ihres Körpers gäbe, den er nicht kannte –, und er musste selbst jetzt gegen das vollkommen absurde Gefühl ankämpfen, dass sie ihm etwas wegnahm und ihm die Zeit gestohlen wurde, in der er nicht bei ihr sein konnte.
Als er die Kammer verließ, wäre er fast mit Elenia zusammengestoßen. Auch sie hatte er seit der Geburt ihrer Schwester praktisch nicht mehr gesehen, auch wenn es in ihrem Fall genau umgekehrt gewesen war: Es war eindeutig Elenia, die ihm ausdem Weg ging. Wenn er kam, dann ging sie, und wenn sich eine Begegnung aus irgendeinem Grund nicht vermeiden ließ, sorgte sie ganz bewusst dafür, dass sie nicht allein waren.
Thor konnte all das sehr gut verstehen, aber es schmerzte ihn trotzdem. Sein Zorn auf Elenia war längst erloschen und hatte einer sonderbaren Mischung aus Mitleid und einem Gefühl Platz gemacht, das er nicht in Worte fassen konnte. Was sie getan hatte, war zweifellos falsch und verwerflich gewesen, aber sie hatte es letzten Endes doch nur aus schierer Verzweiflung getan.
Sie war auch jetzt nicht allein. Ihr Bruder war bei ihr, und beide schienen es sehr eilig zu haben. Elenia murmelte nur eine angedeutete Entschuldigung und senkte das verschleierte Gesicht, und auch Lif wich ihm in großem Bogen aus. Obwohl es hier unten nicht kalt war, trugen beide ihre Mäntel, und Thor hörte das leise Geräusch von Metall, das Lif unter dem Mantel verborgen hatte.
»Warte«, sagte er.
Lif war schon zwei oder drei Schritte weitergegangen, bevor er widerstrebend stehen blieb, und auch Elenia zögerte. Sie drehte sich nur halb zu ihm um und wandte ihm auch das verschleierte Gesicht nicht ganz zu, von ihrem Blick ganz zu schweigen.
»Ich muss mit euch reden«, sagte Thor.
Elenia schwieg, wie üblich. Tatsächlich hatte sie seit ihrem letzten Gespräch kein einziges Wort mehr mit ihm gewechselt. Aber auch Lif wirkte ungeduldig, was nun wirklich ungewöhnlich war, denn normalerweise nutzte er jede Gelegenheit, um in seiner Nähe zu sein. Thor fragte sich, was die beiden wohl so Dringendes zu erledigen hatten.
»Wir müssen eigentlich –«, begann Lif denn auch prompt, und Thor brachte ihn mit einem raschen Kopfschütteln zum Schweigen.
»Nur einen Augenblick«, sagte er. »Ich muss euch etwas sagen. Es ist wichtig.«
»Hat das nicht Zeit bis –?«
»Nein«, sagte er noch einmal. Warum hatte es Lif plötzlichso eilig? Ohne ein weiteres Wort ging er hin, ließ sich vor Lif in die Hocke sinken und öffnete seinen Mantel. Darunter kam tatsächlich Metall zum Vorschein, aber es war kein Schwert, wie er erwartete, oder irgendeine andere Waffe. Unter Lifs Gürtel steckte eine dünne goldfarbene Maske mit nur angedeuteten menschlichen Zügen. Irgendetwas stimmte damit nicht, aber was es war, fiel ihm erst auf, als er sie unter Lifs Gürtel hervorzog und sich aufrichtete, um die Maske ins flackernde Licht der
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