freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
lächeln. »Wir suchen uns irgendwo ein einsames Fleckchen, und ich baue uns ein Haus. Lif und ich gehen auf die Jagd oder bestellen die Felder, und du bleibst im Haus und ziehst deine Schwester groß?«
»Warum nicht?«, fragte sie trotzig. »Es soll Menschen geben, die so leben. Die meisten sogar.«
»Sei vernünftig, Elenia«, sagte er. »Du weißt, dass das unmöglich ist.«
»Es ist wegen ihr, nicht wahr?«, fragte Elenia. »Du glaubst, es wäre falsch, weil Urd meine Mutter ist.«
»Ja«, sagte Thor einfach.
»Das ist Unsinn!«, fauchte Elenia. »Ich kann alles, was sie auch kann. Manches sogar besser! Und ich würde dir niemals etwas befehlen oder etwas tun, was dir nicht gefällt! Was willst du von ihr, was ich nicht besser könnte? Oder hat es dir nicht gefallen?«
Am liebsten hätte er sie geohrfeigt, aber er beherrschte sich und sagte stattdessen ruhig: »Es hat mir gefallen Elenia. Sehr sogar. Weil du mir etwas gegeben hast, das mich verzaubert hat, weil ich dachte, du wärst deine Mutter.«
»Und weil du glaubst, dass du sie liebst!«, schnaubte Elenia.
»Nein, Elenia«, erwiderte er. »Das glaube ich nicht nur. Es ist so. Vielleicht sollte ich es nicht, nach allem, was geschehen ist, aber es gibt Dinge, gegen die ist man hilflos.«
»Solange der Zaubertrank noch wirkt«, sagte Elenia.
Thor runzelte die Stirn.
»Du glaubst wirklich, du liebst meine Mutter?«, fuhr sie fort. »Du meinst so, wie du Lifthrasil liebst?«
»Was willst du damit sagen?«
Elenia antwortete nicht sofort, sondern trat näher, hob dann ganz langsam die Hand und löste mit einer noch langsameren Bewegung den Schleier von ihrem Gesicht, und obwohl er gewusst hatte, was er sehen würde, ließ ihm der Anblick für einen Moment trotzdem den Atem stocken.
Vielleicht lag es daran, dass er Elenias Gesicht tatsächlich zum ersten Mal sah.
Abgesehen von dem kurzen Moment vor drei Tagen, als er selbst, gelähmt vor Schreck, nicht einmal in der Lage gewesen war, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, hatte er ihr Gesicht nie ohne die entstellende Narbe gesehen. Aber nun war es unversehrt, und er erkannte, dass er sich trotz allem getäuscht hatte: Elenia sah ihrer Mutter nicht einfach ähnlich. Sie war Urd – nur anderthalb Jahrzehnte jünger und von einer Frische und Jugendlichkeit erfüllt, die ihre Mutter schon lange verloren hatte. Da war kein Unterschied, nicht einmal der allerkleinste. Selbst der Blick ihrer Augen war der Urds.
Und das Allerschlimmste vielleicht war, dass da plötzlich eine dünne, verachtenswerte Stimme in ihm war, die ihn fragte, warum er das Geschenk nicht annahm, das sie ihm bot. Sie war Urd, nur jünger und unverdorben. Sie hatte alles, was auch ihre Mutter hatte, und nichts von dem, was es ihm so schwer machte, noch an seine Liebe zu ihr zu glauben.
»Was … soll das bedeuten?«, brachte er mühsam hervor.
»Du glaubst wirklich, dass du meine Mutter liebst?«, fragte Elenia. Selbst ihre Art, verächtlich die Lippen zu verziehen, ohne ihn dabei wirklich zu verletzen, war dieselbe. »Meine Mutter hat dich verhext, so einfach ist das.«
»Unsinn!«, sagte Thor.
»In jener Nacht, Thor«, fuhr Elenia unbeirrt fort. »Der Trank, den ich dir gegeben habe. Ich habe dir vorgespielt, ich wäre meine Mutter, um es dir leichter zu machen. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Wir hätten uns auch dann geliebt, wenn du gewusst hättest, wer ich bin.«
»Hör auf, Elenia«, sagte er. Seine Stimme zitterte.
Aber Elenia hörte nicht auf. Sie kam im Gegenteil noch einen Schritt näher und zwang ihn, weiter in ihr ebenso makelloses wie schönes Gesicht zu sehen. »Es ist nicht deine Schuld«, fuhr sie fort. »Ich weiß, dass du dich selbst für das verachtest, was passiert ist, aber es lag nicht in deiner Macht, dich dagegen zu wehren. Meine Mutter hat mir gezeigt, wie man Zaubertränke mischt. Du hattest keine Wahl, Thor, glaub mir.«
Thor starrte sie an. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und die Gedanken jagten sich hinter seiner Stirn. Was, wenn sie recht hatte? Was, wenn sie die Wahrheit sagte?
»Ich habe nichts anderes getan als meine Mutter«, fuhr sie fort. »Sie hat dich gezwungen, sie zu lieben, so einfach ist das. So wie sie dich auch zwingt, Lifthrasil zu lieben.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Thor.
Aber war es das wirklich?
»Was? Dass du dich benimmst, als wärst du von Sinnen?« Sie lachte böse. »Die Frauen reden schon über dich und machen ihre Witze. Dass du dein Kind
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