Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
verantwortlich ist - aber bitteschön: Hier stehe ich heute, im Friseursalon HaarWerk . Toplage in der historischen Innenstadt Münchens, Eckgeschäft mit repräsentativer Schaufensterfront. Ausgerechnet ich habe den Zuschlag bekommen - von über 200 Bewerbern! Sogar die dem Universum gesetzte Frist schien gewahrt. Na ja, jedenfalls einigermaßen. Im März 2006 unterschrieb ich den Mietvertrag.
Aber nur nicht übermütig werden! Wer auf die Ansprechbarkeit höherer Mächte setzt, muss womöglich damit rechnen, dass seine Wünsche ganz, ganz wörtlich genommen werden. Also Vorsicht! Sonst könnte es einem so ergehen wie Freund Aladin. Dem hat der Geist aus der Flasche alles von den Lippen abgelesen. Buchstäblich. Und ganz egal, wie unüberlegt Aladins Anliegen auch sein mochten - sie wurden stets erfüllt. Womit zumindest eines bewiesen wäre: Die Hotline zum Universum war angeblich immer schon freigeschaltet …
Während der ersten Monate in München zog es mich übers Wochenende oft wieder nach Frankfurt zurück. Ich habe den größten Teil meines Lebens in der dortigen Region verbracht und fühle mich durchaus als ein »Frankfurter
Mädel«, meine familiäre Herkunft einmal ausgenommen. Mit der Mentalität meiner neuen Wahlheimat München hatte ich, offen gestanden, anfangs einige Probleme. Doch das ist mittlerweile anders geworden. Auch diese Hürde habe ich genommen - darauf bin ich gewissermaßen spezialisiert. Herausforderungen zu meistern hat mich das Leben gelehrt. Und so weiß ich auch, dass man eine neue Umgebung voll und ganz annehmen muss, um dort Wurzeln schlagen zu können. Für mich bedeutete das zwar nicht, alle Brücken nach Frankfurt abzubrechen. Aber doch, sie nicht mehr so oft und sehnsüchtig zu überschreiten. Es tat sehr weh, gerade auch wegen Christoph. Aber es war richtig.
Mein stärkster Motor ist immer das Bedürfnis gewesen, weiterzukommen: im äußeren Leben, vor allem in meinem Beruf, und im inneren Leben, ganz mit mir selbst. Wenn ich etwas nicht ertragen kann, dann ist es Stillstand. Und wenn ich das Gefühl habe, dass ich meine Zelte abbrechen muss, dann kann mich keiner aufhalten. Auch nicht der Mensch, der vielleicht der wichtigste in meinem Leben ist: meine Zwillingsschwester Hatice.
Endlich und endgültig auf den eigenen Beinen stehen. Mein eigenes Leben führen. Genau diese Erfahrung hatte ich noch gebraucht.
Und so lautet heute meine vorläufige Bilanz: Ich bin Single und trage die alleinige Verantwortung für ein Unternehmen, das auch meiner Schwester gehört. Und ich lebe zum ersten Mal allein, ganz allein! Jetzt, da ich ins fünfte Lebensjahrzehnt eingetreten bin. Wer nicht aus einer Kultur stammt, in der die Gemeinschaft über allem steht, wird
das mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Wir Türken aber sind ausgesprochene Gemeinschaftsmenschen. Kein Wunder, werden wir doch gleich in drei Gemeinschaften hineingeboren: in die der Familie, die des Islams und die des Vaterlandes. Und alle drei haben eines gemeinsam: Sie versuchen stets, über dich zu bestimmen. Vor allem, wenn du eine Frau bist.
Bis ich mit 40 Jahren nach München ging, hatte ich stets mit anderen Menschen zusammengelebt. Erst mit einer Familie, die über mich bestimmte. Später mit Männern, die es mehr oder minder erfolgreich versuchten. Doch jetzt ist das vorbei: Keiner, der mir sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe. Keiner, der mir in meine Entscheidungen hineinredet oder mir etwas aufdrängt. Aber auch keiner, der mir immer hilft und stets eine Schulter zum Ausweinen bietet. Eine sehr neue, sehr ungewohnte Erfahrung - so neu und ungewohnt, dass ich manchmal gar nicht weiß, wie ich mich eigentlich fühle. Aber eines kann ich heute sagen:
Ich, Ayşe, bin endlich frei.
Mich hatte keiner auf der Rechnung
Darmstadt-Jugenheim, 12. März 1967, 6 Uhr 36
I ch erblickte das Licht der Welt in einem Jahr, das keine monumentalen Ereignisse kannte. Wenn man jedoch genauer hinschaut, fällt ins Auge, dass es ein Jahr war, in dem sich sowohl für Menschen als auch für Ereignisse die großartige Möglichkeit bot, schon mit einer Nebenrolle einen Platz in der Geschichte zu erringen. So wurde im bolivianischen Dschungel ein gescheiterter kubanischer Revolutionär namens Che Guevara unsterblich, als er von seinen Häschern brutal zu Tode gehetzt worden war. Auch die Wissenschaft überwand in jenem Jahr ihre Grenzen, und zwar indem sie uns so massenhaft nützliche Dinge schenkte wie die
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