Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
Vorwand für weitere politische Betätigung. Und so begann er 1798 gegen die Illuminaten (Morse nannte sie »Illuminated«) zu wettern,
jene gottlosen Verschwörer, die er in aller Heimlichkeit gegen »Throne und Altäre« weltweit zu Felde ziehen sah. Im Jahre 1799 behauptete er sogar, er verfüge über eine Liste mit Namen, Alter und Geburtsdaten von 100 Illuminaten, die der freimaurerische
Grand Orient
von Frankreich in Virginia angesiedelt habe. Es seien Franzosen aus Frankreich oder St. Domingo, so führte er weiter aus.
Offenbar wusste er nicht, dass die Illuminaten Deutsche waren. Wegen des Verdachts, sie hätten die Französische Revolution angezettelt, nahm er einfach an, sie seien Franzosen. Diese kleinen Irrtümer schmälerten aber nicht die Wirkung seiner Predigten: Sie lösten zusammen mit den Büchern von Barruel und Robison in den USA eine regelrechte Illuminaten-Hysterie aus. Sie ebbte bald wieder ab, weil bei nüchterner Betrachtung keine Spuren von irgendwelchen Illuminaten in den USA festzustellen waren.
Trotzdem haben die Illuminaten unter dem lateinisch klingenden Namen
Illuminati
bis heute in Amerika als wohlfeile Schreckgespenster herhalten müssen. In den Schriften der Verschwörungstheoretiker verloren sie mit zunehmendem Abstand von den wirklichen Ereignissen immer mehr den Status einer realen Geheimgesellschaft. Stattdessen nahmen sie einen geradezu dämonischen Charakter an und wurden schließlich zum Fluchtpunkt aller Ängste vor dem Bösen hinter der Welt.
Alle drei hier vorgestellten Verschwörungen scheiterten letztlich an ihren eigenen Fehlern. Den republikanischen Verschwörern um Brutus gelang es zwar, Caesar zu ermorden, aber die Republik konnten sie nicht retten. Die katholischen Verschwörer gegen die Englische Krone hätten vielleicht den König und einen Teil der Parlamentarier umbringen können, aber gegen den Katholikenhass des Volkes wären sie am Ende machtlos gewesen. Hätte ihr Anschlag Erfolg gehabt, wären die Katholiken in England wahrscheinlich noch grausamer unterdrückt worden. Die Illuminaten schließlich wollten die Fürstenhöfe mit Aufklärern unterwandern – und
brachen unter der Last ihrer schnellen Expansion bereits nach wenigen Jahren zusammen. Sie hatten den Trend der Zeit erkannt und die richtige Richtung eingeschlagen. Aber die Idee, die Freiheit des Einzelnen mit den Mitteln der Geheimgesellschaft durchzusetzen, belastete den Illuminatenorden von Anfang an mit einem unauflöslichen Widerspruch. Echte Verschwörungen, selbst solche, die Geschichte schreiben, unterliegen eben allen menschlichen Schwächen. Wie schrieb doch der kühl kalkulierende Machiavelli:
»Viele
Verschwörungen werden unternommen, aber nur wenige gelingen.«
2 : Die Systematik des Verschwörungsdenkens
Verschwörungsglauben, Verschwörungslegenden, Verschwörungstheorien
Das letzte Kapitel hat drei historische Verschwörungen vorgestellt, ihre Schwachstellen aufgezeigt und ihr Scheitern analysiert. Jede dieser Verschwörungen hat einen einzigartigen Verlauf genommen, und doch lassen sich einige allgemein gültige Regeln ableiten, wie Machiavelli bereits vor mehr als 500 Jahren gezeigt hat. Wie steht es aber mit Verschwörungen, die erdacht sind? Die Gedanken der Menschen sind unabhängig von den Gesetzen der Natur und dem Walten des Zufalls. Man kann Wesenheiten hinzudenken, die niemand je gesehen hat: Außerirdische, Naturgeister, Götter. Damit sind diese erdachten Verschwörungen untereinander noch weniger ähnlich als die wirklichen Verschwörungen. Trotzdem lassen sich auch für sie Gesetzmäßigkeiten ableiten. Dazu stelle ich zunächst eine der ältesten, einflussreichsten und zugleich schlimmsten erfundenen Verschwörungen vor: die Ritualmordvorwürfe gegen die Juden.
Die unheilige Legende des Thomas von Monmouth
Die Anklage lautete auf Mord, vorgebracht von der jüdischen Gemeinde zu Norwich vor König Stefan von England. Wir schreiben das Jahr 1149 . Nach dem damals geltenden traditionellen Recht verfolgte der Staat keine Kapitalverbrechen, soweit sie nur Privatleute betrafen. Die Sippe des Geschädigten hatte die Klage vor ihren Landesherren zu bringen, und die jüdische Gemeinde zu Norwich unterstand unmittelbar dem König, wie alle jüdischen Gemeinden in England. Sie klagten gegen den Ritter Simon von Novers, Lehnsmann des Bischofs William Turbe von Norwich.
Seine Knappen hatten den angesehenen Juden Eleazar erschlagen, dem der Ritter viel Geld schuldete.
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