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Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer

Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer

Titel: Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Grüter
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An der Tat selbst bestanden kaum Zweifel, und die Juden forderten Genugtuung.
    Im Prozess übernahm der Bischof die Verteidigung des Ritters. Was er vorbrachte, ließ die Ankläger ob seiner Unverschämtheit erblassen. Er stritt die Tat rundweg ab und beschuldigte seinerseits den hoch angesehenen Eleazar, den Christenjungen Willelm ermordet zu haben, dessen Tod fünf Jahre zuvor ungeklärt zu den Akten gelegt worden war. Er habe den Jungen mit anderen Juden zusammen in einem geheimen Ritus aus Hass und zum Hohn der Christenheit gemartert und ermordet, behauptete der Bischof weiter. Weil der König die Vorwürfe an Ort und Stelle nicht klären konnte, vertagte er die Entscheidung über die beiden Mordvorwürfe bis zum nächsten Hoftag in London.
    Bei den jüdischen Gelehrten und Gemeindevorstehern in England begann die Angst umzugehen. Sie erwarteten Übergriffe in ganz England, sollte der Bischof den Vorwurf des Ritualmordes in London öffentlich wiederholen. Gegen eine hohe Geldzahlung wollten sie das Verfahren einstellen lassen, aber der Bischof bestand darauf, es weiterzuführen. Der König ließ den Termin daraufhin ein weiteres Mal vertagen. Weiteres verraten die Quellen nicht, der Prozess wird also im Sande verlaufen sein, denn von einem Verfahren vor dem Hofgericht in London ist nichts verzeichnet.
    Welchen Mord versuchte der Bischof überhaupt den Juden anzuhängen, und warum war er sich seines Erfolges so sicher? Am Karfreitag des Jahres 1144 wird der Kürschnerlehrling Willelm in einem Wald bei Norwich tot aufgefunden. Seine Mutter verbreitet in der Stadt, nur die Juden könnten dafür verantwortlich sein. Der Grund dafür bleibt unklar. Der Chronist spricht von einem »Traumgesicht«, einem Wahrtraum, welcher der Mutter die Schuld der Juden offenbart habe. Der Priester Godwin, Onkel des Jungen, klagt die Juden wenige Tage später auf der Diözesansynode vor Bischof Eborard des Mordes an und verlangt eine Schuldprobe durch Gottesurteil. Der Bischof erklärt die Schuld der Juden für nicht erwiesen
und lässt sie vorladen. Doch damit überschreitet er seine Kompetenz: Alle jüdischen Gemeinden Englands stehen unter dem unmittelbaren Schutz und der Gerichtsbarkeit des Königs. Der Sheriff als Vertreter des Königs rät deshalb den Juden, der Vorladung nicht Folge zu leisten. Der Streit zwischen Bischof und Sheriff spitzt sich zu: Eborard lässt die Vorladung dreimal überbringen und droht mit einer
peremptoria sententia
, einer Verurteilung ohne Anhörung der Betroffenen. Inzwischen kocht der Volkszorn hoch, und der Sheriff nimmt die Juden in sein befestigtes Kastell auf, bis ein eigens angefordertes Edikt des Königs ihre Sicherheit garantiert.
     
    Letztlich blieb der Mord ungeklärt. Fünf Jahre später, als die Juden der Gemeinde Norwich den Ritter Simon anklagten, war die ganze Angelegenheit bereits weitgehend vergessen. Das erklärt die Bestürzung der Juden, als Eborards Nachfolger William Turbe die Anklage wieder aufnahm, um den Ritter Simon zu entlasten. Der einzige Chronist des Mordes und der folgenden Ereignisse, der Benediktinermönch Thomas von Monmouth, kannte die Geschichte nur vom Hörensagen, und er war keineswegs unparteiisch. In seiner Chronik
De Vita et Passione Sancti Willelmi martyris Norwicensis,
über Leben und Leiden des heiligen Märtyrers Willelm von Norwich, lässt er keinen rhetorischen Trick aus, um den Juden den Mord unterzuschieben. Sein wahrscheinliches Motiv: Der ermordete Junge sollte zu einem Heiligen gemacht werden. Dazu musste er um seines Glaubens willen ein Martyrium, also einen qualvollen Tod, erlitten haben.
    Eine Kirchengemeinde profitierte gleich in zweifacher Hinsicht von einem eigenen Ortsheiligen: Zum einen gewann sie an Ansehen und zum anderen konnte sie eventuell Pilger anziehen, die auf Wunder am Grab des Heiligen hofften. Die Pilger hinterließen Geld in den Schenken der Stadt und mussten natürlich für die Kirchengemeinde des Heiligen großzügig spenden. Ein Ortsheiliger war im Mittelalter so etwas wie ein
Genius Loci
, ein an den Ort gebundener Geist, der seine Interessen und die seiner Anhänger
durchzusetzen wusste, mitunter auf rabiate Weise. So soll Willelms Geist den Konventualen Richard von Lynne erst geohrfeigt und dann zu Tode gebracht haben, weil dieser ihm eine Kerzenspende verweigert habe. Wer hingegen eifrig zu ihm betete und nicht mit Geld oder Sachspenden geizte, durfte auf Erhörung seiner Gebete oder Heilung seiner Krankheiten

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