Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
soziale Gruppe wahrnehmbar und identitätsbildend bleiben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die Regierungen Europas über umfangreiche Jugendaustauschprogramme zu verhindern, dass sich unter den Jugendlichen eine nationale Gruppenidentität ausbildet. Die übertriebene Identifikation mit dem eigenen Land und das Misstrauen gegen die Nachbarländer hatten im Abstand von nur zwei Jahrzehnten zwei verheerende Kriege ausgelöst. Die
persönliche Bekanntschaft und Vertrautheit mit den Sprachen und Lebensweisen anderer europäischer Länder hat zum Zusammenwachsen Europas sehr viel beigetragen. Junge Menschen in Westeuropa fühlen sich inzwischen eher als Europäer und Weltbürger, weniger als Angehörige einer bestimmten Nation.
Ein deutliches Misstrauen gegen alles Fremde findet man aber noch immer in nationalistischen Gruppen. Bei den englischen Nationalisten beispielsweise richtet es sich speziell gegen die Europäische Union und die als Exponenten der EU empfundenen Länder Deutschland und Frankreich. Und immer noch vermischt es sich mit der alten Furcht vor den mutmaßlichen Weltherrschaftsplänen der katholischen Kirche. In einem Artikel für das britische Magazin
›The Spectator‹
am 30 .August 2003 schrieb der englische Religionslehrer Adrian Hilton sinngemäß: »Die EU ist ein Mittel, um die Reformation rückgängig zu machen und den Herrschaftsbereich des Vatikans auf Großbritannien auszudehnen.« Hilton wurde Anfang 2005 zum Kandidaten der Konservativen Partei des Wahlkreises Slough für die Unterhauswahl im Mai nominiert. Sein bis dahin kaum beachteter Artikel erfreute sich daraufhin nationaler Aufmerksamkeit, und es erhob sich ein Proteststurm, nicht nur von Seiten der Katholiken. Die Führung der Konservativen Partei sah sich daraufhin veranlasst, den Kandidaten Hilton zurückzuziehen.
Der protestantische Glaube ist offenbar für die große Mehrheit der Engländer nicht mehr identitätsbildend. Die meisten Engländer glauben auch nicht, dass der Papst mit Hilfe der EU England erobern will. Hiltons verbale Entgleisungen wirken deshalb auf sie eher lächerlich. Auf der anderen Seite kann ein wenig verbreitetes Misstrauen durch ein als einschneidend empfundenes Ereignis anhaltend verstärkt werden. Ein Beispiel: In den USA halten es zwischen 25 Prozent und 50 Prozent der Schwarzen (je nach Umfrage) für wahrscheinlich, dass die US -Regierung das HI -Virus künstlich erzeugt hat, um die schwarze Bevölkerung zu dezimieren. Viele Schwarze halten die kostenlos verteilten Aids-Medikamente zudem für Gift oder lehnen die Benutzung von Kondomen ab, weil sie
glauben, die Regierung wolle auf diese Weise verhindern, dass sie sich fortpflanzen.
Woher speist sich dieser Glauben? Verschiedene Untersuchungen sehen einen Zusammenhang mit der berüchtigten Tuskegee-Syphilis-Studie, dem wohl finstersten Kapitel des öffentlichen Gesundheitswesens in den USA .
Im Jahre 1932 startete in der Stadt Tuskegee in Macon County, Alabama, eine Studie des US Public Health Service zum »natürlichen« Verlauf der Syphilis bei Schwarzen. 399 Syphiliskranke, die meisten davon bettelarme Tagelöhner und Kleinstbauern, wurden dafür angeworben. Man sagte ihnen, sie litten unter »schlechtem Blut«, ein damals gebräuchlicher Begriff für verschiedene chronische Krankheiten. Sie mussten sich regelmäßig untersuchen lassen und erhielten dafür kostenlose Heilfürsorge, eine freie Mahlzeit nach der Untersuchung und ein kostenloses Begräbnis. Man sagte ihnen nicht, dass sie unter Syphilis litten, und sie erfuhren auch nicht, dass die Krankheit nicht behandelt werden sollte. Nach einer initialen echten Syphilisbehandlung mit einer viel zu geringen Dosis (um den Verlauf der Krankheit nicht übermäßig zu stören) erhielten sie nur noch »Pink Medicine« – Aspirin. Ursprünglich sollte die Studie sechs Monate dauern, aber sie lief einfach immer weiter – vierzig Jahre lang.
Ziel der Studie war die Beobachtung der unbehandelten Syphilis bis zum Tode der Erkrankten. Die Initiatoren der Studie und ihre Helfer vor Ort ließen die Patienten darüber im Unklaren, dass bei den Versuchspersonen eine Obduktion notwendig würde, denn unter den Schwarzen dieser Gegend waren Obduktionen äußerst unpopulär und viele Beteiligte wären wohl abgesprungen. Auch nach der Einführung des Penicillins im Jahre 1947 brach der Public Health Service das Experiment nicht ab, obwohl kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zu erwarten waren. Erst im
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